Werkstoffe

Kunststoff

Kunststoff ist billig, leicht, fast universell verwendbar in Alltagsgegenständen, Textilien, Verpackungen, Autos. Doch der Tausendsassa des 20. Jahrhunderts ist ein Problem – für Mensch und Umwelt.

Von Inka Reichert und Martina Frietsch

Vom Nylonstrumpf zur Verpackungsflut

Noch Mitte des 20. Jahrhunderts war Kunststoff nicht sonderlich verbreitet. Die Textilindustrie stellte Kunstseide her, Manschetten, Stehkragen, später die beliebten Nylonstrümpfe. Es entstanden elektrische Geräte aus Bakelit. Doch alles in allem war Kunststoff eher ein Nischenprodukt.

Das änderte sich schlagartig mit neuen Materialien und Herstellungsverfahren, mit denen Kunststoff günstig in Massen hergestellt werden konnte. Polyvinylchlorid (PVC) entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zum meistproduzierten Kunststoff der Welt, denn für die Produktion konnte ein Abfallprodukt der chemischen Industrie genutzt werden. Deshalb war PVC billig und unglaublich vielfältig anwendbar.

1950 wurden weltweit gerade einmal 1,5 Millionen Tonnen Kunststoff hergestellt. 70 Jahre später waren es bereits 367 Millionen Tonnen, Tendenz steigend. Verpackungen und Einweggeschirr haben bei der Verwendung von Plastik inzwischen den größten Anteil.

Plastikbehälter lösen zunehmend Glasflaschen ab | Bildquelle: wdr

In Europa machen sie mehr als 40 Prozent der gesamten Kunststoffproduktion aus. Erst dann folgen die Produkte in Bau- und Autoindustrie. Um die Masse an Einwegplastik zu reduzieren, gibt es seit 2021 in der Europäischen Union die ersten Verbote, beispielsweise bei Einweggeschirr.

Die Erfindung der Kunststoffe

Einen Stoff zu erfinden, der natürliche Produkte ersetzen kann, war lange Zeit der Traum von Tüftlern und Erfindern. Sie experimentierten mit Kautschuk, Cellulosenitrat, Kasein, Kampfer und anderen Stoffen. 

Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Kunststoffe, die Naturmaterialien ersetzen konnten, aber auch ganz neue Produktentwicklungen ermöglichten.

Aus dem Saft des Kautschukbaums wird Gummi hergestellt | Bildquelle: dpa/picture-alliance

1839 fand Charles Goodyear heraus, dass sich der Saft des Kautschukbaums durch Erhitzen und die Zugabe von Schwefel in Gummi umwandelt. Der Erfinder goss die ersten Gummihandschuhe aus dem neuen Material.

Der erste Kunststoff, der keine Moleküle mehr enthielt, die in der Natur vorkommen, war Bakelit. Das langlebige und hitzebeständige Material des Erfinders Hendrik Baekeland wurde lange Zeit als Isolator verwendet; bekannte Produkte sind Telefone, Toaster oder Föhne.

1912 entwickelte der deutsche Chemiker Fritz Klatte ein Verfahren, um einen Kunststoff zu erzeugen, der heute etwa noch im Bausektor für Rohre, Fußbodenbeläge und als Isolationsmaterial für Elektrokabel genutzt wird: Polyvinylchlorid (PVC). Auch Schallplatten bestehen aus Polyvinylchlorid, daher auch die Bezeichnung "Vinyl".

Kunststoffe und ihre Eigenschaften

Alle Kunststoffe haben eines gemeinsam: Sie bestehen aus langen Molekülketten, den Polymeren. Die Länge dieser Ketten variiert: Die einen zählen einige tausend Moleküle, die anderen mehr als eine Million. Die Glieder der Ketten bilden Kohlenstoffverbindungen, die meist aus Erdöl, Erdgas oder Kohle gewonnen werden.

Welche Eigenschaften ein Kunststoff hat, ob er etwa eher biegsam ist oder hart, hängt vor allem von den Elementen ab, die ihm noch beigemengt werden. Das können zum Beispiel Sauerstoff (O), Wasserstoff (H), Stickstoff (N) oder Schwefel (S) sein. Die Teilchen beeinflussen, wie sich die Molekülketten verzweigen und miteinander wechselwirken.

Eine Plastiktüte schmilzt etwa auf einer heißen Herdplatte und verformt sich. Diese Gruppe der Kunststoffe wird Thermoplaste genannt. Kunststoffe, die hingegen Hitze widerstehen können und die Form beibehalten, heißen Duroplaste.

Auch die Elastizität ist eine wichtige Eigenschaft von Kunststoffen: Die Elastomere bleiben in Form und kehren – trotz Biegen, Quetschen und Drücken – immer wieder zu ihrer Ursprungsform zurück.

Dazu kommen sogenannte Additive wie Flammschutzmittel für schwere Entzündbarkeit, Farbe und Weichmacher. Diese Additive werden spätestens dann zum Problem, wenn das Plastik beginnt, sich zu zersetzen. Sie werden freigesetzt und gelangen in die Umwelt, beispielsweise ins Meer.

Fleisch frischhalten: in aktiver Plastikfolie | Bildquelle: dpa Picture-Alliance / Ulrich Baumgarten

Und es wird stetig weitergeforscht: Sogenannte aktive Verpackungen aus Kunststoff können den Reifeprozess von Obst und Gemüse verlangsamen; sie können Fleisch haltbarer machen und sorgen dafür, dass manche Lebensmittel länger ihre Farbe behalten.

Viele Kunststoffe werden zwar nur kurze Zeit benutzt, haben aber eine lange Lebensdauer: Eine Plastikflasche braucht etwa 450 Jahre, bis sie sich zersetzt hat. Abgebaut ist das Plastik dann aber noch lange nicht. Es bleibt als Mikroplastik in der Umwelt.

Mikroplastik ist überall

Plastik in der Umwelt ist zum weltweiten Problem geworden, für das es bisher keine Lösung gibt. Verpackungsmüll und Alltagsgegenstände wie Einweggeschirr aus Plastik vermüllen Flüsse, Meere und Strände.

Plastikmüll belastet die Meere | Bildquelle: WDR/dp/Nic Bothma

Dazu kommt Mikroplastik, also Plastikteilchen, die durch den Zerfall bereits kleiner als fünf Millimeter sind. Es findet sich überall in der Umwelt und ist über Meerestiere, die die Plastikteilchen fressen, bereits in die Nahrungskette gelangt.

Mikroplastik entsteht auch in großen Mengen durch den Abrieb von Autoreifen und beim täglichen Gebrauch von Alltagsgegenständen, beispielsweise Plastikflaschen, Kleidung aus Synthetikfasern oder Kochutensilien. Babys, die Flaschennahrung erhalten, nehmen das Mikroplastik über das Polypropylen der Flaschen auf.

Als weiteres Umweltproblem kommt solches Mikroplastik hinzu, das absichtlich in Kosmetika, Putz- und Waschmittel, Farben und Lacke sowie in Baumaterial gemischt wird. Über Abwasser und Klärschlamm gelangen diese kleinen Partikel in die Umwelt und, beispielsweise über die Düngung mit Klärschlamm, wieder in die Nahrungskette.

Plastik in Honig und Bier

Auch wir Menschen nehmen Mikroplastik auf. Es befindet sich in allen Regionen der Erde, verbreitet sich über die Luft, es wurde bereits in Nahrungsmitteln wie Honig, Bier und Salz gefunden, im Regen, im Trinkwasser und überall an Land. Welche Auswirkungen das Plastik im Körper auf die Gesundheit hat, ist bislang noch nicht erforscht.

Ein neues Problem entsteht mit dem weiteren Zerfall der kleinen Plastikpartikel zu Nanoplastik. Diese winzigsten Teilchen sind in der Lage, im Körper Gewebebarrieren zu überwinden und möglicherweise Schäden anzurichten.

Plastik: Alternativen zu Erdöl

Kunststoff wird bisher vor allem aus Erdöl hergestellt. Ein Rohstoff, der knapper und teurer wird und der die Basis eines extrem umweltschädlichen Produkts ist. Schon seit Jahrzehnten wird weltweit an Alternativen geforscht: Es werden nachwachsende Rohstoffe wie Mais, Zuckerrohr und Chinaschilf verwendet und daraus sogenannte "Bio-Kunststoffe" für Verpackungen produziert.

In seltenen Fällen werden tierische Abfälle aus der Industrie verwendet. Doch ganz gleich, was auf dem Produkt steht: ob Bioplastik, klimaneutral, biologisch abbaubar – umweltfreundlich ist es nicht. Biobasierte Kunststoffe werden oft nur zum Teil aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt. Letztlich sind sie so schlecht abbaubar wie herkömmliches Plastik.

Die Schalen von Garnelen: eine Basis für Kunststoffe | Bildquelle: WDR / Ralph Lueger

Die "biologisch abbaubaren" Kunststoffe wiederum sind so hergestellt, dass sie sich unter bestimmten Bedingungen zu CO2 und Wasser zersetzen. Diese Bedingungen – vor allem eine bestimmte Temperatur und Zersetzungszeit – sind in der Praxis aber selten gegeben. Ebenso wenig müssen sie nachwachsende Rohstoffe enthalten.

In der Praxis heißt das: Bio-Plastik, das als umweltfreundlich angepriesen wird, ist es meist nicht. Bioplastik darf keinesfalls mit dem Küchenabfall in die Biotonne geworfen werden. Und tatsächlich kompostierbare Verpackungen landen meist in der Müllverbrennung.

So bleiben, vor allem bei Verpackungen, nur wenige ökologisch sinnvolle Wege: Das ist die Vermeidung von Einwegartikeln und Verpackungsplastik, die Nutzung von Mehrwegsystemen sowie verstärktes Recycling.