"Defenestrace" sagt man dazu auf Tschechisch, in Anlehnung an das lateinische Wort "fenestra" für "Fenster". Im Deutschen wurde daraus "Defenestration" oder Fenstersturz. Dabei handelt es sich nicht um einen Streich oder lustigen Zwischenfall – sondern um einen Versuch, den jeweiligen Gegner zu töten.
Am bekanntesten ist der Prager Fenstersturz aus dem Jahr 1618, der als Beginn des Dreißigjährigen Kriegs in Europa gilt. Sechs Jahre zuvor war der in Böhmen beliebte Kaiser Rudolf II. gestorben. Nachfolger wurde Rudolfs Bruder Matthias. Er hielt sich nicht an die von Rudolf garantierte Glaubensfreiheit.
Stattdessen wurden viele Protestanten aus den königlichen Diensten entlassen; der Einfluss der Katholiken am Hof nahm zu.
Die empörten protestantischen Adligen richteten zunächst ein Protestschreiben an den Kaiser, auf das dieser jedoch nicht reagierte. Am 23. Mai 1618 machten sie sich auf zur Prager Burg, um dort ihre Anliegen deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Sie improvisierten eine Art Gerichtsverhandlung, an deren Ende sie die beiden königlich-habsburgischen Statthalter sowie einen ebenfalls anwesenden Sekretär aus dem Fenster der königlichen Kanzlei warfen.
Die Statthalter und der Sekretär überlebten den Fall aus dem zweiten Stock – weil sie, wie die Protestanten später behaupteten, auf einem Misthaufen gelandet waren. Dennoch war der Fenstersturz Auslöser für den Dreißigjährigen Krieg zwischen Protestanten und Katholiken in ganz Europa.
Beim ersten Prager Fenstersturz im Jahr 1419 gab es tatsächlich Tote. Ursache waren auch hier religiöse Auseinandersetzungen. Aufgebrachte Anhänger des Reformators Jan Hus warfen katholische Ratsherren aus dem Fenster des Neustädter Rathauses auf den heutigen Karlsplatz.
Die Ratsherren fielen direkt auf die Spieße der auf dem Platz versammelten Menschenmenge. Dieses blutige Ereignis löste die sogenannten Hussitenkriege aus, die das Land zwei Jahrzehnte lang erschütterten.
Im Jahr 1483 dann stürzten Prager Bürger den damaligen Bürgermeister aus dem Fenster des Rathauses, um einer geplanten Verschwörung katholischer Stadträte entgegenzuwirken. Dieser Sturz ist allerdings weniger bekannt, da seine Folgen weniger nachhaltig waren.
Der jüngste Fenstersturz stammt aus der Neuzeit, aus dem Jahr 1948. Damals fiel unter mysteriösen Umständen der damalige Außenminister Jan Masaryk aus dem Fenster seines Büros. Masaryk war Sohn des Republikgründers Thomáš G. Masaryk und der einzige Nichtkommunist in einem stalinistischen Kabinett.
Obwohl sein Tod offiziell als Selbsttötung dargestellt wurde, erschien es vielen als äußerst merkwürdig, dass der letzte hochkarätige Systemkritiker seiner Zeit ausgerechnet durch einen Fenstersturz ums Leben gekommen sein sollte.
(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 09.04.2020)