Der erste Kölner Rosenmontagszug (am 10.02.1823). WDR ZeitZeichen. 10.02.2023. 14:52 Min.. Verfügbar bis 10.02.2099. WDR 5.
Brauchtum
Rheinischer Karneval
Helau und Alaaf: Im Karneval steht am Rhein die Welt auf dem Kopf. Es wird marschiert, gesungen, getanzt und geschunkelt. Die Narren stürmen die Rathäuser und Karnevalsprinzen übernehmen die Macht, von Weiberfastnacht bis zum Aschermittwoch.
Von Hildegard Knoop
"Mummerei" und Vermummungsverbote
Die Rheinländer führen ihren unbändigen Feierdrang auf eine lange Tradition zurück. Schon in der Antike seien ungefähr zur gleichen Zeit wie heute zur Karnevalszeit Feste gefeiert worden, bei denen sich die Menschen verkleideten und die herrschende Ordnung auf den Kopf gestellt wurde. Historisch nachweisbar ist die "Mummerei" ebenso wie die Fasnacht im Südwesten seit dem Mittelalter.
Das niederdeutsche Wort "Fastelovend" bedeutet nichts anderes als "der Abend vor der Fastenzeit". Am "Fastelovend", wie es auf Kölsch heißt, oder in der Mainzer "Fassenacht" gab es Umzüge in den Straßen, es wurde in den Schenken und zu Hause gefeiert und gesungen – und vor allem gegessen und getrunken, was die Vorratskammern und der Geldbeutel hergaben.
Historische Kostüm-Entwürfe für den Kölner Rosenmontagszug 1824
Denn am Aschermittwoch begann die sechswöchige Fastenzeit, und vorbei war es mit dem Genuss von Wein und Fleisch und allen aus Tieren gewonnenen Lebensmitteln. Vorbei war es auch mit anderen weltlichen Freuden: Zu den Fastengeboten gehörten auch die sexuelle Enthaltsamkeit und der Verzicht aufs Tanzen und Singen.
Die Obrigkeit und der Klerus feierten die Fasnacht zwar auch, sahen aber das wilde Treiben auf den Straßen mit sehr gemischten Gefühlen, vor allem wenn es sich gegen sie selbst richtete. Seit der Zeit der Reformation waren Verkleidungen als Nonnen oder Mönche sehr beliebt – und äußerst ungern gesehen.
Seit Jahrhunderten ein beliebtes Kostüm: Jecke Nonnen vor dem Kölner Dom
Zudem mussten immer wieder Verstöße gegen die Feierverbote und Fastengebote nach Aschermittwoch festgestellt und bestraft werden. Das führte wiederholt auch zu Vermummungsverboten.
Zum lustigen Straßenkarneval gesellten sich im 18. Jahrhundert die sogenannten "Redouten" nach venezianischem Vorbild: ausgelassene Masken- und Kostümbälle, die zunächst dem Adel und dem reichen Bürgertum vorbehalten waren. 1736 gab es in Köln die erste Redoute in einem Adelshaus am Neumarkt.
Schon im 18. Jahrhundert ging es zu Karneval im Bonner Hoftheater hoch her
Für Unterbrechungen im Fasnachtstreiben sorgten über die Jahrhunderte zahlreiche Kriege und die wechselnden Besatzer der Rheinlande, etwa die Franzosen Ende des 18. Jahrhunderts und die Preußen ab 1815. Und trotz alledem – gefeiert wurde doch.
Die Geburt des "romantischen Karnevals"
Allerdings war den von der Aufklärung geprägten Bürgern das "pöbelhafte, dumpfe Treiben" der Massen ein Dorn im Auge. Und so machten sie sich daran, die "Lust zu öffentlichen Maskeraden in den gebildeten Ständen wieder hervorzurufen", also die Straßen für das Bürgertum zurückzuerobern. Das war die Geburtsstunde des Karnevals, wie die Fastnacht von den höheren Ständen seit dem 18. Jahrhundert genannt wurde. Sie schlug 1823 in Köln mit dem ersten Rosenmontagszug.
Am 10. Februar war es soweit: Der "Held Karneval" wurde von einer Leibgarde Stadtsoldaten, wegen ihrer roten Waffenröcke "rote Funken" genannt, feierlich zum Neumarkt geführt, wo er seinen Thron bestieg. Er trug ein weißes Gewand, darüber einen mit Hermelin besetzten Purpurmantel und eine goldene Krone mit einem Pfauenschweif. In der rechten Hand hielt er ein Zepter.
Dann wurde er im Zug unter dem Motto "Thronbesteigung des Helden Karneval" durch die Stadt gefahren. Aus dem Helden wurde bald der Prinz Karneval. Erst viele Jahre später, 1883, gesellten sich der Bauer und die Jungfrau zum Prinzen und bildeten fortan das "Kölner Dreigestirn", das bis heute das närrische Volk regiert.
Die Kölner Prinzengarde von 1909 tritt vor dem Rathaus an
Der erste Rosenmontagszug war ein voller Erfolg, und im Laufe der Jahre folgten immer mehr Narren entlang des Rheins dem Kölner Beispiel: 1827 die Koblenzer, 1838 die Mainzer. Bei den Mainzern war es die 1827 gegründete Ranzengarde, die als Leib- und Bauchgarde für seine Allerhöchste Närrische Majestät, den "Karnevalskönig", an der Spitze des Zuges marschierte.
Jungfrau, Prinz und Bauer gehören zum traditionellen Dreigestirn
Der Karneval wird politisch
Auch nach seiner "gezähmten Wiedergeburt" wurden der Karneval und das, was in den tollen Tagen passierte, von der Obrigkeit scharf beobachtet. Insbesondere die Lieder, die Reden und die Karnevalszeitungen erregten bei den nicht sehr toleranten Preußen immer wieder Missfallen. In den 1830er-Jahren waren zum Beispiel die meisten Karnevalszeitungen verboten. Dennoch ließen es die Narren sich nicht nehmen, Missstände anzuprangern und satirisch aufs Korn zu nehmen.
Bis heute ist der Karneval politisch geblieben
Und im Karneval lernte so manch ein Politiker der Deutschen Revolution von 1848 sein politisches und rednerisches Handwerk. Da gab es die Kölner Karnevalspräsidenten Heinrich von Wittgenstein und Franz Raveaux oder den Bonner Universitätsprofessor und Büttenredner Gottfried Kinkel, die sich im Jahr 1849 teils in der Frankfurter Nationalversammlung, teils in Berlin als Abgeordnete wiederfanden. Eineinhalb Jahre später, nach der Niederschlagung der Revolution, mussten sie fliehen oder wanderten ins Gefängnis.
Die Ideen von Demokratie, Gleichheit und Freiheit führten aber auch dazu, dass sich die elitären Karnevalsvereine für andere Schichten öffneten, etwa für Handwerker. Zwar wurden in den dann folgenden Zeiten der Restauration viele dieser Errungenschaften wieder rückgängig gemacht, aber der Karneval verstand sich fortan als der Ort, wo sich Narren aller Schichten und Stände beim gemeinsamen Feiern trafen und wo satirisch Bilanz gezogen wurde über die kleine und die große Politik.
Karneval im Nationalsozialismus
Nicht immer konnte der Karneval als Ventil dienen, wenn die Meinungsfreiheit eingeschränkt war. Die Nationalsozialisten verboten ihn nicht, sondern instrumentalisierten ihn für ihre Zwecke.
Die "Gleichschaltung" des Karnevals erfolgte durch die Gründung des Dachverbands "Bund Deutscher Karneval" im Jahr 1937, dem sich alle Karnevalsvereine anschließen sollten. Ohne Mitgliedschaft war es fortan schwierig, Karneval zu feiern.
Neben Motivwagen mit eindeutig antisemitischen Aussagen machte sich der nationalsozialistische Einfluss besonders darin bemerkbar, dass Männer in Frauenkleidern im Karneval nicht mehr geduldet wurden. So wurden die bis dahin männlichen Funkenmariechen 1936 durch Frauen ersetzt, und 1938 und 1939 wurde die Kölner "Jungfrau" tatsächlich von Frauen verkörpert.
In der NS-Zeit durften nur Frauen die Jungfrau spielen
Dennoch gab es einige mutige Karnevalisten, die die Bütt für mehr oder weniger bissige Kritik an den Nationalsozialisten nutzten.
Ein Beispiel: der Kölner Büttenredner Karl Küpper, der unter anderem wegen "Verächtlichmachung des Deutschen Grußes" zu lebenslangem Redeverbot verurteilt wurde. Er hatte mit erhobenem Arm nicht "Heil Hitler" gesagt, sondern: "So hoch liegt bei uns der Dreck im Keller."
Und die Live-Übertragung der traditionellen Haubensitzung des Mainzer Carneval-Clubs wurde 1938 jäh abgebrochen, nachdem ein Büttenredner das Konzentrationslager Dachau erwähnt hatte. Den Hörern wurde eine technische Panne vorgegaukelt. Ab 1940 war dann während des Zweiten Weltkriegs mit dem Karneval und mit den Rosenmontagszügen für die nächsten Jahre Schluss.
Der Karneval bis heute
Erst 1949 zogen in Köln und Bonn wieder Rosenmontagszüge durch die noch stark vom Krieg zerstörte Stadt. 1950 machten sich auch die Mainzer Narren auf den gefährlichen Weg durch die Ruinen. Gefeiert worden war aber schon in den Jahren davor.
Der Prunkwagen des Kölner Dreigestirns beim Rosenmontagszug 1948
Mit dem Einzug der Narren ins neue Medium Fernsehen wurde der rheinische Karneval in den 1950er-Jahren endgültig zum populären Aushängeschild. 1953 übertrug der junge Fernsehfunk den Kölner Rosenmontagszug erstmals live. 1955 wurde das erste "Mainz, wie es singt und lacht" gesendet – eine Gemeinschaftssitzung des Mainzer Carneval Verein (MCV) und des Mainzer Carneval-Club (MCC).
Das Fernsehen veränderte den Karneval in den kommenden Jahren und Jahrzehnten stark. Die Saalfastnacht mit ihren geschliffenen Rednern und farbenprächtigen Gesangsgruppen verdrängte in Mainz lange Zeit den Straßenkarneval im Bewusstsein der Menschen.
Der Kölner Sitzungskarneval geriet durchs Fernsehen in die Krise: 1964 war die Nation Zeuge, als die Narren bei der Prinzenproklamation im Kölner Gürzenich die Darbietungen mit Pfeifkonzerten kommentierten, wohl weil sie von den Mainzern Besseres gewohnt waren.
Das ist mittlerweile alles Schnee von gestern. Heute wird Karneval am Rhein in vielen verschiedenen Formen gefeiert. Neben den Rosenmontagszügen und dem offiziellen Sitzungskarneval der großen Karnevalsgesellschaften gibt es alternative "Stunk"- oder "Schnieke Prunz"-Sitzungen und "rosa Sitzungen" der schwul-lesbischen Szene.
Die "Stunksitzung" sinniert über Einhörner und deren Nutzen
Als Gegenentwurf zum Rosenmontagszug zieht alljährlich der "Geisterzug" am Fastnachtssamstag durch die Kölner Straßen. Er wurde 1991 ins Leben gerufen, als wegen des Golfkriegs bundesweit die Fasnacht und der Karneval abgesagt wurden. Seitdem ist er zur festen Institution geworden und gilt als chaotischer Demonstrationszug gegen den Krieg und für die Lebensfreude.
Und auf den Straßen und in den Kneipen wird sowieso laut und ausführlich gefeiert: sechs Tage lang, von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch, ist Karneval am Rhein.
Jedes Jahr sechs Tage Ausnahmezustand
(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 13.02.2019)
Quelle: SWR