Das Mittelalter
01:39 Min.. UT. Verfügbar bis 20.09.2028. Von Lukas Prommer, Claudio Como.
Mittelalter
Leben im Mittelalter
Das Mittelalter gilt als "dunkle Epoche". Dabei waren Krieg, Krankheit und Unterdrückung nicht die Regel in den rund 1000 Jahren zwischen Antike und Neuzeit.
Von Johannes Eberhorn
Mittelalter – was soll das sein?
Zwar fallen in den rund 1000-jährigen Abschnitt zwischen Antike und Neuzeit schreckliche Ereignisse wie der Hundertjährige Krieg, die Kreuzzüge oder die Pest.
Doch das Mittelalter steht auch für wegweisende Entwicklungen auf dem Weg in die Moderne – für die Gründung der ersten Universitäten etwa oder für das Erblühen der Städte und damit auch für den Aufstieg von Handel und Handwerk.
Schon der Begriff "Mittelalter" ist im Prinzip eine Verleumdung, die von den humanistischen Gelehrten des 15. und 16. Jahrhunderts geprägt wurde. Sie wollten sich damit von der angeblich so dunklen Epoche abgrenzen, die nun – im Zeitalter der Renaissance – ein Ende haben sollte.
Im Mittelalter, so die Überzeugung der Humanisten, seien Kultur und Bildung der Antike einem dramatischen Verfall ausgesetzt gewesen.
Mehrere Jahrhunderte hielt sich diese Deutung, die das Mittelalter als düsteres Scharnier zwischen Antike und Neuzeit abkanzelte. Heute wird diese Zeit in der europäischen Geschichtsforschung differenzierter betrachtet, der Name "Mittelalter" hat sich trotzdem gehalten.
Wann genau die Antike endete und das frühe Mittelalter begann, lässt sich nicht exakt festlegen. Häufig genannte Eckpunkte sind zum Beispiel der Beginn der Völkerwanderung um 370 nach Christus oder der Untergang des weströmischen Reiches im Jahr 476.
Inzwischen hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Antike nicht abrupt endete, sondern erst allmählich in einem Prozess, der mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte dauerte. Ähnlich verhält es sich mit dem Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit, der an der Wende zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert verortet wird.
Das europäische Mittelalter lässt sich in drei Abschnitte unterteilen, deren Anfang und Ende allerdings ebenfalls umstritten sind: Das frühe Mittelalter, dessen wohl bekannteste Herrscherfigur Karl der Große war, dauerte in etwa bis zum Ende des ersten Jahrtausends.
Die Epoche zwischen 1000 und 1250, die Zeit der Ritter und Kreuzzüge, wird heute als Hochmittelalter bezeichnet, auf das schließlich das Spätmittelalter folgte.
Riesenreich mit Königswahl
Obwohl das weströmische Reich bereits 476 von der Landkarte verschwunden war, blieb das glorreiche römische Imperium auch für die mittelalterlichen Herrscher ein wichtiger Bezugspunkt.
Die bedeutendste politische Instanz des westeuropäischen Mittelalters war ein Gebilde, das ab Mitte des 15. Jahrhunderts als "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" in die Geschichte einging.
Es war entstanden aus dem ostfränkischen Reich von Karls dem Großen und umfasste zeitweise fast ganz Mitteleuropa und Teile Südeuropas. Im Zentrum dieses Riesenreichs lag auch das Territorium, aus dem Jahrhunderte später der deutsche Nationalstaat hervorging.
Eine echte Einheit war das Heilige Römische Reich nicht. Seine Bewohner setzten sich aus vielen Völkern zusammen, entsprechend groß war die Sprachenvielfalt. Ein zentrales Rechtssystem gab es ebenso wenig wie eine gemeinsame Währung, die Reichsgrenzen verschoben sich ständig.
Einer der wenigen Fixpunkte des Reiches war sein Herrscher, der Römische Kaiser, der zugleich den Titel eines Königs trug.
Die Kaiserkrone erhiewlt der Herrscher aus den Händen des Papstes, was immer wieder zu Konflikten führte. Die Königswürde dagegen war keine Angelegenheit der Kirche. Bereits Otto I. (912-973) musste sich vor der Thronbesteigung den bedeutendsten Fürsten des Reiches zur Wahl stellen.
Zu befürchten hatte Otto allerdings kaum etwas – einen Gegenkandidaten gab es nicht. Ab Ende des 12. Jahrhunderts blieb die Wahl des Königs den deutschen Kurfürsten vorbehalten, deren Zahl ab 1257 auf sieben beschränkt wurde.
Otto I. wurde 962 vom Papst zum Kaiser gekrönt
Der Stand bestimmte den Platz im Leben
Richtschnur des mittelalterlichen Lebens war das Ständesystem, das jedem Menschen seinen Platz in der Gesellschaft zuwies. Unumstritten an der Spitze stand der König, dem sich der Adel und die geistliche Oberschicht des Reiches unterzuordnen hatten.
Die nächste Sprosse auf der Ständeleiter bildeten Mönche und Ritter. Der Beruf des Ritters entstand ab dem 9. Jahrhundert, als die Kriegsführung zu Pferd immer bedeutender wurde. Die Soldaten mit Schlachtross und Rüstung waren für ihre Kriegsherren äußerst wichtig, weshalb sie weitreichende Privilegien genossen.
Im 12. Jahrhundert erlebte das Rittertum seine Blütezeit, doch bereits 200 Jahre später begann der Abstieg des edlen Standes. Mit dem Aufkommen von Söldnerheeren und neuen Waffen wie dem englischen Langbogen wurden die Ritter allmählich bedeutungslos.
Wiederum eine Stufe tiefer befand sich im Mittelalter die Schicht der Bauern. Sie machten nicht nur den mit Abstand größten Teil der Bevölkerung aus, sondern waren auch die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Allerdings gab es auch unter den Bauern große Unterschiede – von frei bis unfrei, von bettelarm bis vermögend.
Quasi als gesellschaftlicher Kitt zwischen den einzelnen Ständen diente das Vasallentum. Ein Mitglied eines niederen Standes war in der Regel Vasall (Gefolgsmann) eines Ranghöheren.
Der Gefolgsmann schwor seinem Herrn bedingungslose Treue und Gehorsam. Dazu gehörte unter anderem auch, dass der Vasall Abgaben entrichtete und für den Herrn in den Krieg zog. Im Gegenzug verlieh dieser seinem Untergebenen Land und beschützte ihn.
Der Vasall musste seinem Ritter treu dienen
"Stadtluft macht frei"
Der Mensch des Mittelalters blieb, wenn er nicht gerade Mönch oder Nonne wurde, ein Leben lang in seinem Stand – ein Aufstieg war so gut wie unmöglich. Dies änderte sich erst mit dem Aufschwung der Städte ab dem 12. Jahrhundert.
Wenn ein unfreier Bauer in eine mittelalterliche Stadt zog und von dort ein Jahr lang nicht von seinem Herrn zurückbeordert wurde, war er ein freier Stadtbürger. Daher rührt auch der viel zitierte Ausspruch "Stadtluft macht frei". Um diese Freiheit auszukosten und am wirtschaftlichen Aufschwung teilzuhaben, strömten im Hochmittelalter immer mehr Menschen vom Land in die Stadt.
Als "Keimzelle der hochmittelalterlichen Stadt", wie es der Schriftsteller Rolf Schneider ausdrückt, gilt der Markt. Dieser Platz, an dem Händler aus verschiedenen Regionen zusammentrafen, war nicht selten Ausgangspunkt für eine Stadtgründung. Die Städte entwickelten sich zu den wichtigsten Wirtschaftszentren des Reiches, in denen Handel und Handwerk blühten.
So ist es auch kein Wunder, dass aus einem Zusammenschluss von Städten einer der mächtigsten Wirtschaftsverbände des Mittelalters hervorging: die Hanse. Zur Blütezeit der Hanse – zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert – gehörten ihr etwa 200 Städte an, darunter Hamburg, Lübeck, Köln, Dortmund und Berlin.
Heilige Hallen und liebestolle Liedermacher
Auch aus kultureller Sicht war das Mittelalter keineswegs eine durchweg düstere Zeit. So entstanden ab dem 12. Jahrhundert in Europa die ersten Universitäten, zum Beispiel in Paris, Bologna oder Oxford. Oft gingen diese heiligen Hallen des Wissens aus Kloster- und Domschulen hervor, die sich bis dahin in der Regel der Ausbildung des eigenen Nachwuchses gewidmet hatten.
Die schönen Künste erlebten im Hochmittelalter ebenfalls einen Aufschwung: An Fürstenhöfen und in Städten erklangen die Lieder der Minne, in denen es um die Liebe mit all ihren Irrungen und Wirrungen ging. Wie sich ein mittelhochdeutsches Minnelied angehört hat, weiß man heute aber leider nur im Ansatz. Texte sind im deutschen Sprachraum einige erhalten, Noten dagegen kaum.
Eine der ältesten Universitäten: die Pariser Sorbonne
(Erstveröffentlichung: 2010. Letzte Aktualisierung: 26.04.2021)
Quelle: WDR