Modepuppe mit Korsett

Unterwäsche

Das Korsett – eingeschnürte Weiblichkeit

Im 16. Jahrhundert war die so genannte Wespentaille der letzte Schrei der Mode. Viele Frauen pressten deshalb ihren Oberkörper in enge Schnürleiber, was oft gesundheitliche Schäden zur Folge hatte. Die Geschichte des Korsetts ist also auch eine Leidensgeschichte.

Von Alfried Schmitz

Enge Taille schon im Altertum

Ausgrabungen auf der griechischen Insel Kreta brachten es zutage: Schon rund 2000 Jahre vor Christi Geburt gab es eine frühe Form des Korsetts. Eine kleine Statuette wurde gefunden, die Schlangengöttin von Knossos, die zu den wohl weltweit bekanntesten archäologischen Schätzen zählt.

Die Statuette trägt ein dicht am Körper anliegendes Oberteil, aus dem der Busen hervorspringt. Ihre Beine werden von einem weiten Rock umspielt, doch die Taille ist atemberaubend eng eingeschnürt.

Diese Figur ist kein Einzelstück. Es wurden noch mehrere kleine Statuen gefunden, die nicht nur weibliche Gottheiten darstellen, sondern auch Priesterinnen und bürgerliche Frauen der gehobenen Stände. Eines ist ihnen allen gemeinsam: die äußerst figurbetonte Mode der damaligen Zeit, die abgeschnürte Wespentaille des Altertums.

Getragen wurden diese unbequemen Kleidungsstücke nur an hohen Festtagen. Für den Alltag der meisten Frauen waren sie wenig geeignet, weil sie erstens die Bewegungsfähigkeit zu sehr einschränkten und zweitens ihrer Trägerin sowohl Luft als auch Blut abschnürten. Für das normale Leben setzte sich daher Kleidung durch, in der man die täglichen Arbeiten besser verrichten konnte.

Eine Statue der Schlangengöttin von Knossos.

Griechische Schlangengöttin von Knossos

Vom dicken Bauch zur flachen Brust

Bis zum Ende des Mittelalters bestimmten in Europa weit wallende Gewänder und Hemden die Mode. Dicke Bäuche und volle Busen waren nicht verpönt, sondern zeugten eher von Wohlstand und Wohlbefinden.

Mit der zur Schau gestellten Fettleibigkeit machte die Eopche der Renaissance ein Ende. Um 1500 wandelte sich der Hang zu üppigen Formen ins vollkommene Gegenteil. Vor allem die von Nüchternheit und strengen Formen geprägte spanische Hofmode galt damals als Maßstab. Flachbrüstige Frauen galten nun als schön. In den Kleidern fielen die früher noch als hübsch geltenden eingenähten Brust-Auswölbungen fort.

Die Modemacher jener Zeit ersannen nun regelrechte Körperkörbe, die mit Metall-, Holz- oder Fischbeinstäben verstärkt waren und den Oberbau der Frauen zusammenpressen sollten. Getragen wurden diese Folterinstrumente unter der normalen Kleidung.

Außerdem waren die Trägerinnen solcher Schnürbrüste durch die Enge gezwungen, sich in kerzengerader Haltung in der Öffentlichkeit zu zeigen. Auch diese galt damals in höheren Gesellschaftskreisen als äußerst schick. Mit dem Schnürleib hatte man also gleich zwei Modeanforderungen jener Zeit erfüllt.

Das 'Bildnis Sarah Fairmore', um 1750.

Auch im Barock war das Korsett modern

Leiden für die Schönheit

In den Folgejahren wurde es zum Trend, den Busen ganz besonders zu betonen. Die Frauen trugen tief dekolletierte Kleider, die viel Haut zeigten. Um den Brustbereich noch besser in Szene setzen zu können, wurde der Bauch noch enger geschnallt. Dass die Frauen dabei körperliche Qualen litten, war eher zweitrangig. Nicht selten kam es unter jungen Frauen zu Todesfällen, deren Ursache den zu eng geschnürten Miedern zugeschrieben wurden.

Verantwortungsvolle Ärzte und Mediziner riefen zu einem Boykott der ungesunden Mode auf. Sie warnten vor schwerwiegenden Deformationen der inneren Organe. Lunge, Leber, Magen und Darmtrakt wurden erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Es kam durch die engen Schnürleiber sogar zu unnatürlichen Verengungen des Brustkorbes.

Auch der Anatom Samuel Thomas Soemmering (1755-1830) gehörte zu den Kritikern mit Fachverstand. Er wies in Untersuchungsreihen nach, dass der Oberkörper durch das enge Schnüren auf Dauer deformiert wurde. 1788 veröffentlichte er seine Forschungen und Erkenntnisse in "Ueber die Schaedlichkeit der Schnuerbrueste" und fand damit viel Beachtung.

Zeichnung: Eine Frau mit normalem Brustkorb, eine Frau mit verengtem Brustkorb

Eine Folge des Schnürens: ein massiv verengter Brustkorb

Viele Frauen hörten auf seine Warnungen. Doch schon drei Jahrzehnte später waren die gesundheitlichen Bedenken offenbar wieder vergessen. Die Schnürbrust war nun in Form des Korsetts wieder auferstanden. Der Begriff Korsett leitet sich vom französischen Wort "corps" für "Körper" ab. Soemmering nahm den Kampf gegen das ungesunde Kleidungsstück auch in den letzten Jahren seines Lebens wieder auf.

Auch im Biedermeier wird geschnürt

Als in den 1820er-Jahren das Korsett in die Modewelt zurückkehrte, ließen sich auch eitle Männer ihren Oberkörper einschnüren, um eine bessere Figur zu machen.

Hauptabnehmer dieses neu eingeführten Kleidungsstücks waren aber wieder die Frauen. Für sie galt es vor allem ab 1865 als besonders elegant, wenn der Taillenumfang nicht mehr als 43 bis 53 Zentimeter maß. Für dieses Extrem-Ideal wurde nun wieder bis zur Ohnmacht geschnürt und gehakt.

Bei einer weiteren Modeentwicklung wurde einige Jahre später dann außer dem Oberkörperbereich auch die Hüfte mit eingeschlossen – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Korsetts wurden nach unten hin verlängert und sollten nun auch noch auf die Hüftpartie korrigierend wirken.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die weibliche Ideallinie geradezu pervertiert. Als letzter Schrei galt es nun, wenn bei den Frauen Bauch und Hüfte so stark eingeschnürt waren, dass sich Busen und Po nach außen wölbten und in Folge dessen ein extremes Hohlkreuz sichtbar wurde. Dieses Modediktat nannte man der überaus unnatürlichen Körperhaltung entsprechend "S-Linie".

Ein Plakat für ein Korsett um 1905

Eine Frau zur S-Linie verschnürt

Erlösung für eingeschnürte Körper

Als es in den folgenden Jahren auch für Frauen gesellschaftlich erlaubt war, sich in der Freizeit sportlich zu betätigen, brachte diese neu gewonnene soziale Freiheit auch mehr Freiheit für den eingeschnürten Körper. In der Mode setzten sich Natürlichkeit und Bequemlichkeit durch.

Das französische Modehaus Chanel war auf diesem Gebiet Vorreiter und brachte ab 1917 neue, weiter geschnittene Kleiderkreationen auf den Markt, die sich in den gehobenen Bürgerschichten schnell großer Beliebtheit erfreuten. An diesem neuen Trend orientierte sich natürlich auch die Damen-Unterwäsche, bei der nun auf enge Passform verzichtet werden konnte.

Als sich in den 1930er-Jahren aber erneut eine figurbetonte Modewelle durchsetzte, konnte diesmal auf das Anlegen von engen Korsetts verzichtet werden. Elastische Materialien waren entwickelt worden, die nun auch im Kleidungsbereich verwendet wurden und den Tragekomfort deutlich erhöhten. Mit diesen neuen Stoffen konnten überflüssige Pfunde optisch korrigiert werden, ohne die Gesundheit der Trägerinnen negativ zu beinträchtigen.

Korsettartige geschnürte Oberteile, wie sie heute von manchen Frauen getragen werden, haben mit den Folterwerkzeugen vergangener Tage nichts mehr zu tun. Als sich die Popikone Madonna 1990 in ein erotisches Korsett verpackt auf der Konzertbühne präsentierte, blieb nicht mehr ihr selbst die Luft weg, sondern höchstens den Zuschauern.

Pop-Sängerin Madonna im Mieder auf der Bühne (1990)

Madonna im aufreizenden Korsett des Modemachers Gaultier (1990)

(Erstveröffentlichung: 2005. Letzte Aktualisierung: 04.12.2020)

Quelle: WDR | Stand: 04.12.2020, 11:55 Uhr

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