Menschenrechte
Geschichte der Menschenrechte
Gibt es angeborene Rechte, die jeder Mensch besitzt? Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 legt Werte fest, die für alle Menschen gelten und vor willkürlicher Gewalt schützen sollen. Der lange Kampf um die Menschenrechte ist aber noch nicht beendet.
Von Julia Lohrmann
Der lange Kampf für die Freiheit
Die Vorstellung von angeborenen Menschenrechten und ihr rechtmäßiger Schutz entwickelten sich erst nach und nach im Laufe der Geschichte. Im Mittelalter gab es erste Gesetze, die den einzelnen Menschen vor der willkürlichen Macht der Herrschenden schützen sollten.
Bekannt ist die "Magna Charta Libertatum" ("Große Urkunde der Freiheiten"), die 1215 in England die Adeligen und Geistlichen, und in Ansätzen auch die Bauern, vor maßlosen Steuern des Königshauses schützte. Sie wurde zur wichtigsten Grundlage des englischen Verfassungsrechts.
Ein immer wiederkehrendes Prinzip ist hier zu erkennen: Der Kampf um Leben, Freiheit und Gerechtigkeit beginnt oft dort, wo Herrscher oder Regierungen ihre Macht missbrauchen. Sie arbeiten nicht mehr zum Wohl des Volkes, sondern unterdrücken und quälen die Menschen für ihre persönlichen Interessen oder Ideologien.
In vielen Ländern und zu allen Zeiten geschehen grausame Verbrechen auf Staatsbefehl. Und immer wieder müssen deshalb die Menschenrechte neu bekräftigt und verkündet werden.
"Alle Menschen sind gleich geboren!"
Zum ersten Mal geschah das mit weitreichender Wirkung 1776 in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Ungerechte Steuern waren auch für die englischen Siedler in Nordamerika der Anlass für den Kampf um ihre Unabhängigkeit.
Die englische Krone versuchte ihre Staatsschulden, die durch den Siebenjährigen Krieg gegen Frankreich (1756-1763) entstanden waren, mithilfe ihrer Kolonien abzutragen. Die 13 Kolonien an der amerikanischen Ostküste aber widersetzten sich den neuen Steuern und den strengen Handels- und Zollgesetzen.
Bei der berühmten "Boston Tea Party" am 16. Dezember 1773 warfen Siedler die Ladung britischer Teeschiffe ins Hafenbecken. Die Kolonien schlossen sich zusammen, beriefen einen Kontinentalkongress ein und bildeten eine gemeinsame Armee unter dem Oberbefehl von George Washington, dem späteren ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika (USA).
Die "Boston Tea Party"
Am 4. Juli 1776 nahm der Kongress die von Thomas Jefferson ausgearbeitete Unabhängigkeitserklärung an. "Wir halten folgende Wahrheiten für selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören", heißt es in der 15 Artikel umfassenden Erklärung, die zur Grundlage der Verfassung der USA wurde.
Sie markiert den historischen Durchbruch der Idee der unveräußerlichen Grundrechte – auch wenn im damaligen Amerika die Sklaverei fortdauerte, viele Indianer vertrieben wurden und Frauen kein Wahlrecht hatten.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
In Frankreich empörten sich die Menschen fast zur selben Zeit gegen das "alte Regime". Der Staat war bankrott, die Hofhaltung der Könige und die kostspielige Kriegspolitik hatten die Kassen geleert. Jahrelang hatte das Volk dafür bezahlt. Am 5. Mai 1789 wurde die Ständeversammlung berufen. Der dritte Stand, das Bürgertum, erklärte sich zur Nationalversammlung.
Am 14. Juli 1789 begann der offene Aufstand mit dem berühmten Sturm auf die Bastille, also auf das Gefängnis. Es war der Beginn der Französischen Revolution. Die Nationalversammlung verkündete die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte.
Die Menschenmenge stürmte die Bastille
Artikel 1 lautet: "Der Mensch wird frei und gleich an Rechten geboren und bleibt es." Artikel 2: "Das Ziel aller politischen Gesellschaften ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen. Diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und das Recht des Widerstands gegen willkürliche Bedrückung."
Die in 17 Artikeln dargelegten Grundrechte fanden Eingang in die neue Verfassung vom 3. September 1791.
Zwar brachte die Französische Revolution auch viel Leid und Chaos über das Land – nach dem befreiten Aufschrei des Volkes folgten die Schreckensherrschaft der Jakobiner und die Zeit der Kriege unter Napoleon Bonaparte. Doch fortan kannten die Menschen ihre Rechte gegenüber dem Staat.
Die französische "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" ("Déclaration des droits de l'homme et du Citoyen") steht für einen Neubeginn des politischen Denkens und hatte Auswirkungen auf ganz Europa. Viele Verfassungen konnten ab diesem Zeitpunkt auf die angeborenen, unveräußerlichen und vom Staat zu schützenden Grundrechte des Menschen nicht mehr verzichten.
Die Franzosen feiern noch heute den 14. Juli als Nationalfeiertag.
Die Grundrechte des deutschen Volkes
In Deutschland dauerte es etwas länger, bis der Ruf nach Freiheit laut vernehmbar wurde. Der "Deutsche Bund" war ein loser Zusammenschluss vieler Kleinstaaten, aber es gab den Wunsch nach einem einheitlichen Staat mit Grundrechten und einer übergreifenden Verfassung.
Besonders das Bürgertum und liberale Politiker forderten die deutsche Einheit, ein Parlament und die Aufhebung der Pressezensur. Als in Frankreich neue Unruhen ausbrachen, kam es 1848 auch in Deutschland zur Revolution. Nach den Aufständen versammelte sich in der Frankfurter Paulskirche die Nationalversammlung.
In der Paulskirche in Frankfurt am Main tagte die Nationalversammlung
Die Grundrechte des deutschen Volkes wurden am 27. Dezember 1848 verkündet: Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz gegen behördliche Willkür, Pressefreiheit, Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht Vereinigungen zu bilden, Unabhängigkeit der Gerichte, öffentliche Gerichtsverfahren, Freiheit des Besitzes.
Man wollte Deutschland einigen und bot König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die Wahl zum Kaiser an. Doch dieser lehnte die "Krone aus der Gosse" ab. Als zudem die Verfassung nur von einigen Staaten angenommen wurde, war die deutsche Revolution weitgehend gescheitert. Der Weg der Deutschen in die Demokratie war noch weit.
Dennoch brachte auch diese Erklärung der Grundrechte neue Impulse im Denken der Menschen. Erstmals tauchte der Gedanke auf, dass soziale Rechte – wie das Recht auf Arbeit – zu den Menschenrechten zählen. Das öffnete den Weg für den Schutz der Arbeiter und für die Bildung von Gewerkschaften.
Freiheit von Not und Furcht
Die Verbrechen der Nationalsozialisten und die Zerstörungswucht der ersten Atombomben in Hiroshima und Nagasaki erschütterten die Menschheit in bis dahin nie gekanntem Ausmaße. Das dringende Bedürfnis entstand, jeden einzelnen Menschen in Zukunft vor derartigem Unrecht zu schützen.
Mit diesem Ziel wurden 1945 in New York die Vereinten Nationen (United Nations Organization = UNO) als Nachfolgeorganisation des Völkerbundes gegründet. Diese neue Weltgemeinschaft verpflichtete sich in ihrer Charta vom 26. Juni 1945, die Welt vor "der Geißel des Krieges zu bewahren".
Sie bekräftigte ihren Glauben an die Würde des Menschen und versprach, bessere Lebensbedingungen in Freiheit für alle Menschen zu fördern.
Verabschiedung der Menschenrechtserklärung 1948
Kurze Zeit später trat ein Ausschuss von Vertretern der damaligen Mitgliedstaaten zusammen, um einen gemeinsamen Wertekatalog zu erarbeiten. Welche Lebensbedingungen braucht ein Mensch für ein würdevolles Dasein? Welche Rechte muss ein Staat garantieren?
Nach mehr als zweijähriger Arbeit wurde am 10. Dezember 1948 die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verkündet. Die 30 Artikel dienen bis heute im weltweiten Kampf um die Würde des Menschen als gemeinsame Orientierung und Ideal fast aller Völker.
Eine gemeinsame Vision für die Welt
Niemand musste sich zum Zeitpunkt der Verkündung der Erklärung an ihre Vorgaben halten. Es gab keine Verträge, keine rechtliche Absicherung. Erst später folgten internationale Pakte, Verträge und Konventionen, die die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" in geltendes Recht umsetzten. Doch noch immer sind viele Menschen nicht ausreichend vor der willkürlichen Gewalt durch Regierungen geschützt.
Die Durchsetzung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen erweist sich als schwierig. Bis heute argumentieren viele Regierungen bei Menschenrechtsverletzungen: Es handle sich um innerstaatliche Angelegenheiten, in die sich niemand einzumischen habe.
Dennoch ist der Kampf um die Menschenrechte zu einer weltweiten Bewegung geworden. Viele Nichtstaatliche Organisationen (NGOs), Gruppen und Bürgerinitiativen erheben mutig ihre Stimme. Durch massive weltweite Proteste und beherzte Handlungen Einzelner konnte schon viel Leid verhindert oder gemildert werden – für politische Gefangene, für rechtlose Frauen, für schutzlose Kinder.
(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 22.04.2020)
Quelle: WDR