Was in der Pubertät im Gehirn passiert
Planet Wissen. 14.05.2024. 07:01 Min.. UT. Verfügbar bis 13.10.2028. WDR.
Hirnforschung
Hirnstrukturen im Wandel
Unser Gehirn ist ständigen Veränderungen unterworfen. Während die Bildung neuer neuronaler Netzwerke durch das alltägliche Lernen für uns kaum spürbar ist, bemerken wir größere Veränderungsprozesse sehr wohl. Ein Beispiel ist die Pubertät.
Von Christina Lüdeke
Umbauprozesse in der Pubertät
In der Pubertät finden im Gehirn wesentliche "Umbaumaßnahmen" statt. "Man kann sich die Struktur im Gehirn in etwa wie einen Baum mit vielen Verästelungen vorstellen", erklärt Dr. Karina Weichold vom Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie an der Universität Jena. "In der Pubertät sterben kleinere Äste ab, größere werden stärker. Dadurch kann man einerseits effektiver denken und ist andererseits in der Lage zu fortgeschritteneren Denkprozessen."
Kinder sehen eher Einzelheiten und Details. Durch die veränderten Strukturen im Gehirn wird dagegen für Jugendliche ein Denken in Meta-Ebenen möglich.
Die Folge: Was Kinder in ihrer Umwelt noch als gegeben hinnehmen, wird von Jugendlichen eher hinterfragt – was allzu oft zu Konflikten mit der Familie und dem sonstigen Umfeld führt. Diese Umbau-Arbeiten im Gehirn beginnen übrigens bereits im Alter von etwa neun Jahren – oft längst bevor das Erwachsenwerden körperlich sichtbar ist.
Veränderung durch besondere Beanspruchung
Während die Veränderungen des Gehirns im Rahmen der Pubertät grundsätzlich jeden Menschen betreffen, sind andere Prozesse individuell unterschiedlich und werden von den jeweiligen Lebensumständen geprägt. Vor allem wird das bei besonderer Beanspruchung einzelner Bereiche deutlich, wie es bei manchen Berufsgruppen vorkommt.
So benutzen Geiger beispielsweise ihre linke Hand zum Greifen der Töne. Bei ihnen sind die Bereiche des Gehirns, die für Bewegung und Gefühl der Finger der linken Hand zuständig sind, größer als bei anderen Menschen. Das heißt, es sind mehr Neuronen für die linke Hand vorhanden, weil durch das tägliche Üben unzählige Impulse von der Hand am somatosensorischen Kortex ankommen.
Die Neuronen aber sind nicht von Geburt an auf die Repräsentation eines bestimmten Bereiches festgelegt, sondern können sich je nach den individuellen Lebensumständen in ihrer Funktion anpassen.
Das sieht man beispielsweise, wenn jemand durch einen Unfall seine Hand verliert. Zunächst hat derjenige das Gefühl, als spüre er sie noch. Im Lauf der Jahre nimmt das ab, denn bei den Zellen kommen keine Impulse der Hand mehr an. Dadurch repräsentieren immer weniger Neuronen diese Hand.
Nach und nach können diese "arbeitslosen" Neuronen neue Funktionen benachbarter Bereiche übernehmen, zum Beispiel vom Gesicht. Dabei kann es in der Übergangsphase zu merkwürdigen Empfindungen kommen: Läuft dem Betroffenen eine Träne die Wange hinunter, so spürt er diese zum einen auf seiner Wange. Zum anderen aber kann es sein, dass er das Gefühl hat, die Träne laufe über seine nicht mehr vorhandene Hand.
Die Erklärung dafür: Einzelne Neuronen sind sozusagen gleichzeitig für Hand und Gesicht zuständig. Sie müssen nach und nach umlernen, bis sie nur noch die neue Funktion erfüllen.
Bei Berufsmusikern sind manche Bereiche des Gehirns stärker ausgeprägt
Profis reagieren anders als Laien
Bei Musikern ist übrigens nicht nur eine Anpassung der Neuronen im motorischen und somatosensorischen Kortex messbar. Auch das Hörzentrum in den Schläfenlappen reagiert anders als bei musikalischen Laien. Bis in die 1980er-Jahre hinein nahmen Forscher an, Sprache werde vorwiegend im linken Schläfenlappen verarbeitet und Musik im rechten.
Diese Annahme ist inzwischen widerlegt worden. Wissenschaftler stellten fest, dass die Unterscheidung von Tonhöhen und Lautstärke zum Beispiel grundsätzlich in der Hörrinde beider Hirnhälften stattfindet. Wenn es aber um die Wahrnehmung von Melodien geht, unterscheiden sich Berufmusiker und Laien voneinander.
Bei Laien wird hier vor allem die Hörrinde auf der rechten Seite des Gehirns aktiv. Bei Berufsmusikern dagegen konnten Wissenschaftler eine verstärkte Aktivität auf beiden Seiten feststellen. Musiker scheinen also die "Arbeit" des Musikhörens im Gehirn auf beide Hirnhälften zu verteilen.
Eine Kernspintomographie zeigt, welche Hirnbereiche aktiv sind
Frontaler Kortex aktiv beim Schach – Kleinhirn beim Fußball
Bei Strategie-Spielen wie Schach sind ebenfalls deutliche Unterschiede der Gehirnaktivitäten zwischen Profis und Laien zu erkennen. Hier ist bei Amateuren vor allem der mittlere Schläfenlappen aktiv, in dem komplexe visuelle Strukturen analysiert werden.
Beim Schachmeister wird dagegen vor allem der frontale Kortex aktiv sowie eine Region in den Scheitellappen, die für das Erkennen geometrischer Strukturen zuständig ist. Die Forscher gehen daher davon aus, dass im Gehirn des Schachmeisters Konstellationen aus früheren Spielen blockweise im Langzeitgedächtnis abgespeichert sind. Der Laie dagegen muss die Situation immer wieder neu bewerten.
Ähnlich wie bei Musikern und Schachspielern sind auch bei anderen Berufsgruppen Veränderungen des Gehirns durch starke Beanspruchung einzelner Bereiche nachweisbar. So gibt es beispielsweise bei Profi-Fußballern eine intensivere Ausprägung der Bereiche für die Füße im motorischen Kortex.
Das allein genügt aber noch nicht, um aus einem passablen Kicker einen Torschützenkönig zu machen: Wichtig im Fußball ist die Aktivität des Kleinhirns. Es ist für die unbewussten Bewegungsabläufe zuständig. Dabei berücksichtigt das Kleinhirn auch Details wie die Ermüdung der Muskulatur nach einer Stunde Spielzeit.
Diese gilt es zu kompensieren, wenn der Schuss trotzdem ein Treffer werden soll. Fällt das Kleinhirn aus, funktionieren gewohnte Bewegungsabläufe nicht mehr. So führen größere Mengen Alkohol zu vorübergehenden Störungen des Kleinhirns: Der Betreffende schwankt und kann viele Bewegungen nicht mehr koordinieren.
Bei Fußballprofis sind der motorische Kortex und das Kleinhirn besonders ausgeprägt
Nervenzellen können nachwachsen
Auch Krankheiten führen zu Veränderungen im Gehirn. Besonders deutlich sichtbar sind diese Veränderungen bei Alzheimer-Patienten, deren Gehirn im Verlauf der Krankheit immer stärker schrumpft. Zunächst sind besonders Bereiche der Schläfenlappen und des limbischen Systems beeinträchtigt, vor allem Hippocampus und Amygdala.
Im Verlauf der Krankheit schrumpft jedoch auch die Großhirnrinde. Es entstehen immer größere mit Hirnwasser gefüllte Ventrikel.
Andere Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen hinterlassen ebenfalls sichtbare Spuren im Gehirn. Je länger ein Patient depressiv ist, desto kleiner ist bei diesem auch sein linker Hippocampus. Ausgelöst wird dies vermutlich durch Stresshormone im Blut.
Ist der Hippocampus jedoch zu klein, fällt es schwer, Stimmungen zu kontrollieren oder Pläne zu machen. Allerdings ist es in diesem Fall möglich, das Gehirn mit Medikamenten zur Neubildung von Nervenzellen anzuregen.
Das braucht allerdings einige Zeit und klappt nicht immer. Unter anderem deswegen gehen Mediziner davon aus, dass Psychopharmaka erst nach mehreren Wochen ihre volle Wirkung entfalten – eben erst, wenn im Gehirn neue Nervenzellen nachgewachsen sind.
(Erstveröffentlichung: 2011. Letzte Aktualisierung: 09.12.2021)
Quelle: WDR