Von Grenzgängern und Stadtbrücken
Wenige Städte sind so eng mit ihrem Fluss verbunden wie Frankfurt an der Oder. Diese über 750 Jahre alte und ehemals weltbedeutende Handelsstadt, in der Heinrich von Kleist geboren wurde, hat eine wechselvolle Geschichte. Eine Geschichte, die gerade in jüngster Zeit untrennbar mit der Oder verbunden ist.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Oder zur Grenzlinie zwischen Deutschland und Polen erklärt, 1990 wurde diese Markierung im deutsch-polnischen Grenzvertrag bestätigt.
Von 1945 bis 1991 besaß Frankfurt die einzige Grenzbrücke nach Polen. Am anderen Ende der Brücke liegt das polnische Slubice, ein kleines Städtchen, das auf sehr alten Karten noch zu Frankfurt gehört.
Die oft nur als Transitstadt wahrgenommene Odermetropole Frankfurt gilt mit ihren zahlreichen Nachkriegs-Plattenbauten nicht gerade als Perle des Städtebaus. Hier, so eine lange Zeit verbreitete Wahrnehmung von Reisenden, ist das graue Ende von Europa.
Das sollte sich Anfang der 1990er-Jahre allmählich ändern, als der eiserne Vorhang zur Seite gezogen wurde. Viele Deutsche und Polen schauten nun neugierig über die Oder und begannen mit einer vorsichtigen Annäherung über die Stadtbrücke. Erste Begegnungen kamen durch kleine lukrative Handelsgeschäfte, dann über gemeinsam entwickelte Projekte.
Mit der Neugier am Zwischenoderland stieg nicht nur die Zahl der Brücken über die Oder, sondern auch die Zahl der Grenzübergänge. Sie hat sich seit 1990 mehr als verzehnfacht.
Deutsch-polnische Begegnungen
Viele Grenzstädte an der Oder bildeten vor 1945 gemeinsam eine Gemeinde, so auch Hohenwutzen und Osinów Dolny (Niederwutzen). 1993 wurde zwischen diesen Gemeinden die Grenzbrücke erstmals wieder für die Durchfahrt geöffnet. Es war eine der ersten freigegebenen Oderbrücken. "Seitdem ist in Osinów Dolny nichts mehr wie es war", schreibt der Autor Uwe Rada in seinem Buch "Zwischenland".
Aus dem verschlafenen Nest wurde über Nacht ein europäischer Handelsplatz der etwas anderen Art. Der Straßenbasar war geboren und lockte Touristen aus dem ganzen Land. Hier gab es alles, was das Käuferherz begehrt, von der Levis-Jeans über Gurken bis hin zu Alkohol und Zigaretten. Statt Ladentheken waren Klapptische angesagt.
Tatsächlich hatten viele deutsche Touristen wohl ihre ersten nachhaltigen Begegnungen mit Polen auf solchen Basaren. Viele Anbieter von Kurzreisen lockten gar ihre deutsche Kundschaft mit einem Besuch dieser sogenannten Polenmärkte im Grenzgebiet. Laut Uwe Rada passierten im ersten Jahr der Grenzöffnung 3,6 Millionen Menschen den Grenzübergang bei Hohenwutzen.
Deutsch-polnische Projekte an der Oder
Bei der Umsetzung von grenzüberschreitenden Projekten hat sich besonders Frankfurt an der Oder viel vorgenommen. Dabei sind vor allem drei Themen wichtig:
Die Sprache gilt als wichtiger Schlüssel zur anderen Kultur. In Frankfurt an der Oder wurde 1991 die historische Europa-Universität Viadrina wieder eröffnet. Schon Heinrich von Kleist studierte hier. Heute kommen etwa 40 Prozent der Studierenden aus dem Ausland, ein Großteil davon aus Polen.
Damit schlägt die Viadrina "an einem durch die Geschichte und Geografie besonders hervorgehobenen Ort eine Brücke der geistigen Zusammenarbeit zwischen westlichen und östlichen (...) Traditionen von Wissenschaft und Kultur", heißt es in einer Erklärung der Universität.
Die Bürgermeister der gegenüberliegenden Städte Frankfurt an der Oder und Slubice einigen sich 1991 auf ein Aussöhnungsprojekt mit dem Namen "Pro Europa Viadrina". Darin wollen beide Gemeinden sich um einen künstlerischen, historischen und wirtschaftlichen Austausch bemühen.
Besucher-Jugendgruppen sollen die Verständigung zwischen den Völkern vorantreiben, man verspricht sich, die Sprache des anderen zu lernen. Sogar eine kommunale Datenbank soll über Dörfer und Gemeinden an beiden Seiten der Oder informieren und zu wirtschaftlichen Investitionen anreizen.
Durch das Projekt "Oder-Neiße-Radweg" lädt ein mehr als 600 Kilometer langer Radweg von Stettin bis zur Neißemündung zu einer abwechslungsreichen Tour zwischen Deichen und Flussufern ein. Geradelt wird auf beiden Seiten der Oder, auf polnischer Seite soll das Wegenetz noch weiter ausgebaut werden.
Ebenso funktioniert der Naturschutz an der Oder zusammen mit den Polen. Das Aktionsbündnis "Zeit für die Oder" will sich grenzüberschreitend gegen den Oderausbau einsetzen.
Gemeinsame Sache wird auch beim Nationalpark "Unteres Odertal" gemacht. Seit der Park 1995 zum grenzüberschreitenden Naturreservat erklärt wurde, ist er ein Beispiel für deutsch-polnische Zusammenarbeit in puncto Naturschutz und Regionalentwicklung.
(Erstveröffentlichung: 2005. Letzte Aktualisierung: 24.01.2021)