Die Stadtgründung
Vermutlich waren es friesische Kaufleute, die sich im 8. Jahrhundert an der Schlei niederließen, einem schiffbaren Seitenarm der Ostsee, der 40 Kilometer weit ins Land reicht. Anfang des 9. Jahrhunderts siedelte der damalige dänische König viele Kaufleute aus Dänemark zwangsweise in Haithabu an und folgte später selbst mit dem gesamten Heer.
Von Haithabu aus trieben die Kaufleute Handel mit der gesamten damals bekannten Welt. Und vom Hafen an der Schlei aus starteten die Nordmänner mit ihren schlanken, schnellen Schiffen, um auf so genannte Wikingfahrt zu gehen – kurz gesagt: um andere Völker zu überfallen und Beute zu machen. Daher stammt auch die Bezeichnung "Wikinger".
- Matthias Toplak: Die Wikinger – Seeräuber und Krieger im Licht der Archäologie. Wie war das Leben in der Wikingerzeit wirklich? Was archäologische Funde in Siedlungen und Gräbern erzählen, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2022
- Neil Price: Die wahre Geschichte der Wikinger, Verlag S. Fischer, München 2022
- Jörn Staecker, Mathias Toplak: Die Wikinger Entdecker und Eroberer. Eine atemberaubende Zeitreise in die Welt der Wikinger, Propyläen Verlag, Berlin 2019
- Fachberatung: Dr. Matthias Simon Toplak, Leiter des Wikinger Museums Haithabu
Die Häuser sowie die Schiffs- und Handelswege
Die Schiffe der Wikinger konnten im flachen Wasser bei Haithabu zum Anlegen auf dem Ufer gestrandet werden. Nach und nach wurden Uferbefestigungen gebaut und ein Weg angelegt.
In der Uferzone, in der die Bewohner immer mit Überschwemmungen rechnen mussten, entstanden einfache Holzhäuser. In den höher gelegenen Gebieten Haithabus hingegen standen die typischen Grubenhäuser: in die Erde eingetiefte Häuser, deren Wände aus Spaltbohlen oder lehmverkleideten Flechtwerk bestanden.
Das rund 26 Hektar große Siedlungsgebiet von Haithabu wurde von einem halbkreisförmigen Schutzwall umgeben, der rund neun Meter hoch war.
Der Wasserweg über die Schlei war nicht der einzige Zugang zu Haithabu: Die Wikinger nutzten die Schleswiger Landenge, die zwischen Haithabu und der Nordsee nur 18 Kilometer betrug. Schiffe, die von der Nordsee aus über die Eider fuhren und in Hollingstedt anlegten, wurden dort entladen und die Waren dann über Land bis Haithabu gebracht.
Dies alles geschah im Schutz des Danewerks, eines rund zwei Meter hohen Walls mit vorgelagerten Gräben. Das Danewerk schützte das Dänische Reich gegen Angreifer aus dem südlich angrenzenden Fränkischen Reich.
Der Handel und das Handwerk
Im Zentrum der Stadt, die in ihrer Blütezeit 1500 bis 2000 Einwohner hatte, lag der Hafen. Er wurde immer weiter ausgebaut, sodass auch größere Schiffe anlegen konnten. Dazu wurden zunächst kleine Steganlagen und danach mehrere Landebrücken aus Holz gebaut.
Bei Grabungen im Hafen wurden inzwischen mehr als 1600 Pfostenstandspuren entdeckt. Doch der Hafen Haithabus war mehr als nur ein Anlegeplatz für die Schiffe. Er diente auch als Marktplatz, hier wurden Waren gelagert und er war auch die Mülldeponie der Stadt.
Durch den Import von Gütern, die vor Ort nicht verfügbar waren, entwickelten sich in Haithabu zahlreiche hoch spezialisierte Handwerke: Sehr weit entwickelt war die Kunst des Holzdrechselns, es entstanden aufwändige Goldschmiedearbeiten, filigrane Pressblecharbeiten, Perlen, Metallwerkzeuge und andere Schmiedearbeiten wie die Waffen der Wikinger.
Diese Waren wiederum dienten als Handelsgüter. Bodenuntersuchungen haben ergeben, dass Haithabu planmäßig angelegt war: Es gab Straßen, Wohn- und Gewerbegebiete. Gerade die feuergefährlichen Gewerbe, die die Holzhäuser leicht in Brand setzten konnten, waren sicherheitshalber abseits der Bebauung angesiedelt.
Der Alltag
Haithabu war das bedeutendste Fernhandelszentrum in ganz Nordeuropa. Hier liefen nicht nur alle wichtigen Routen zusammen, es trafen Menschen aus vielen Ländern und Regionen zusammen. In der Blütezeit lebten in Haithabu vermutlich Skandinavier, Sachsen und Slawen, außerdem Händler und Handwerker aus so entfernten Gegenden wie dem byzantinischen Reich.
Doch auch wenn Haithabu eine wichtige und für ihre Zeit wohlhabende Stadt war, war das Alltagsleben der Menschen von harter Arbeit und dem Kampf ums Überleben geprägt.
Für die Versorgung mit Lebensmitteln waren die Bewohner Haithabus auf den Handel angewiesen, denn Getreide und andere wichtige Güter mussten im Umland beschafft werden. Selbst versorgen konnte sich die Stadt nicht.
Die Wiederentdeckung Haithabus
Im Jahr 1066 endete die Geschichte Haithabus nach nur 300 Jahren. Nachdem die Stadt im Lauf der Jahrhunderte viele Angriffe überstanden hatte, bedeutete ein Überfall slawischer Truppen nun das Ende. Haithabu wurde zerstört, seine Funktionen als Handelszentrum gingen auf Schleswig am anderen Ufer der Schlei über.
Der Ort, an dem Haithabu einst stand, geriet in Vergessenheit, lediglich der Schutzwall blieb erhalten. Schriftliche Quellen belegten zwar, dass die Stadt existiert hatte – aber nicht, wo genau sie gestanden hatte.
1897 kam der dänische Archäologe Sophus Müller zu der Auffassung, Haithabu müsse innerhalb des immer noch sichtbaren Halbkreises an der Schlei gelegen haben. Seine Theorie wurde 1900 bestätigt, als Johanna Mestorff, Direktorin des Museum vaterländischer Altertümer in Kiel, erste Grabungen in Auftrag gab.
Auch nach mehr als 100 Jahren archäologischer Ausgrabungen und Forschungen ist bis heute ist nur ein geringer Teil Haithabus wiederentdeckt. Etwa fünf Prozent der Siedlung und 1,5 Prozent des Hafens wurden bisher ausgegraben.
Mit geomagnetischen Messgeräten wurden ab 2002 die Fläche innerhalb und außerhalb des Halbkreiswalls untersucht. Auf diese Art können archäologische Funde ohne Ausgrabung entdeckt werden, da ihre Strukturen als magnetische Anomalien auftreten.
Dank dieser Methode konnten inzwischen Lage und Aufbau der Stadt rekonstruiert werden. Durch gezielte Ausgrabungen wurde der Erfolg der Geomagnetik bewiesen.
Das Museum
Seit 1985 gibt es das "Wikinger Museum Haithabu" in unmittelbarer Nähe der Fundstätten, das seitdem immer wieder erweitert wurde. Neben den archäologischen Funden werden die Stadt und die umgebende Region präsentiert sowie die Politik, Religion und Handelsbeziehungen der Wikingerzeit.
In der Schiffshalle ist das sogenannte "Wrack 1" zu besichtigen, das im Hafen von Haithabu geborgen wurde. Außerdem sind Rekonstruktionen von Häusern aus Haithabu sowie ein Landungsbrücken-Nachbau.
Der rekonstruierte Siedlungsabschnitt umfasst sieben Häuser, darunter das Versammlungshaus und die Herberge. Die Dauerausstellung im Museum zeigt den Besuchern, wie das Alltagsleben vor 1000 Jahren aussah.
Das Unesco-Welterbe
Seit 2018 zählen das Wikingerdorf Haithabu und das Danewerk zum Unesco-Welterbe. Mit diesem Titel werden Kultur- und Naturdenkmäler ausgezeichnet, die einen großen Wert für die Menschheit haben und besonders erhaltenswert sind. Haithabu ist damit als außergewöhnliches Zeugnis der Wikingerzeit anerkannt.
Die Bewerbung zum "Welterbe Wikinger" traten übrigens sechs Staaten gemeinsam an: Deutschland, Island, Dänemark, Norwegen, Schweden und Lettland. Das Welterbe zeigt die Wikinger in ihren unterschiedlichen Facetten und auch die Wikinger-Kultur in ihrer Gesamtheit.