Hunger, Elend und Visionen
Die US-Bundesregierung hatte ein Gesetz erlassen, wonach die Lakota auf ihr komplettes Land bei Little Bighorn, ihrem angestammten Jagdrevier, verzichten mussten und sich unverzüglich in die Reservate zu begeben hatten.
Viele junge Krieger waren mit dieser Entwicklung nicht einverstanden und rüsteten sich erneut zum Angriff, dem letzten großen Aufstand der indigenen Völker Nordamerikas.
In den Reservaten kürzte die US-Regierung nach den Kämpfen um Little Bighorn die Verpflegungsrationen erheblich. Die Indigenen waren aber nach dem Verlust ihrer Jagdreviere, dem Ausrotten der Bison-Herden und einer verheerenden Missernte auf diese Hilfsleistungen angewiesen. Die Folge waren Hunger und Verelendung in den Reservaten.
Auf diesen Nährboden fiel die Vision des Schamanen Wovoka während der Sonnenfinsternis von 1889. In einer Fiebervision hatte der Seher die Vernichtung der weißen Eindringlinge und die Rückkehr der Büffelherden und der in den vergangenen Jahrhunderten gefallenen Krieger prophezeit.
Aus dieser religiösen Vorhersage entwickelte sich ein Unverwundbarkeitsmythos bei den jungen Kriegern. So genannte Geistertänze und spezielle Hemden sollten den Ureinwohnern ewiges Leben garantieren.
Geistertanzhemden sollten den Kriegern magische Kräfte verleihen
Das Massaker an den Lakota
Innerhalb kurzer Zeit gewann die Geistertanzbewegung viele neue Mitglieder. Vor allem den jungen Kriegern verlieh der Glaube an den Geistertanz enorme Kraft und Mut.
Die US-Regierung antwortete aus Angst vor Aufständen mit militärischer Härte. Überall in der Prärie und den Plains kam es zu Übergriffen an der indigenen Bevölkerung. Im Gebiet der Lakota wurden einige Hundert Ureinwohner unter Führung von Häuptling Big Foot außerhalb des Reservates auf der Flucht vor Elend und Hunger festgenommen. Bei der Entwaffnung soll es zu Übergriffen der US-Soldaten auf die Frauen gekommen sein.
Ein weiterer Zwischenfall löste einen Schusswechsel aus. Die militärisch überlegenen US-Soldaten ermordeten in kurzer Zeit fast 350 Männer, Frauen und Kinder der Lakota. Die Leichen wurden am Neujahrstag 1891 in einem Massengrab am Wounded Knee verscharrt, einem kleinen Fluss im US-Bundesstaat South Dakota.
Vorher hatten die Soldaten den Lakota die Geisterhemden abgenommen und verkauften sie später als Trophäen. Die US-Offiziere erhielten Tapferkeitsmedaillen. Nach dem Massaker am Wounded Knee war der Widerstand der indigenen Völker gegen die Weißen endgültig gebrochen.
Das Massaker von Wounded Knee brach den letzten Widerstand der Indigenen
Ein symbolträchtiger Ort
Trotzdem hatte das Massaker von Wounded Knee eine nachhaltige Wirkung auf den Freiheitsdrang der Ureinwohner. Im Februar 1973 besetzen rund 200 Aktivisten der Widerstandsorganisation "American Indian Movement" (AIM) einen Handelsposten und ein Museum in der Stadt Custer sowie eine Kirche nahe dem Massengrab von 1890.
Anlass war der Mord an einem Lakota durch einen Weißen und die einseitige Prozessführung zugunsten des Täters. Indigene Augenzeugen des Mordes wurden vor Gericht nicht zugelassen und der Täter lediglich wegen Totschlags zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Mutter des Opfers wurde dagegen wegen ihres Protestes gegen das Urteil mit 40 Jahren Gefängnis bestraft.
Ohne Billigung der indigenen Reservationsregierung protestierten die jungen Aktivisten gegen das Urteil. Mit militärischen Mitteln wurden die Protestler 71 Tage lang von US-Militär und FBI belagert, ohne dass die Aushungerung Wirkung gezeigt hätte. Bei einem Schusswechsel kamen ein Lakota und zwei FBI-Beamte ums Leben.
Unter großem Medienandrang wurde schließlich ein Friedenspakt geschlossen, der eine Prüfung der Verträge zwischen Sioux und US-Regierung vorsah und eine gerechte Behandlung der protestierenden Ureinwohner.
Obwohl sich an der Situation der Lakota nicht viel änderte – einige der Aktivisten wurden sogar zu hohen Haftstrafen verurteilt – hatte die Aktion doch die Weltöffentlichkeit für die Probleme der indigenen Völker im 20. Jahrhundert sensibilisiert.
Im Februar 1973 besetzten rund 200 Sioux die Gedenkstätte "Wounded Knee"
Revision eines Mythos
Als Folge solcher medienwirksamer Aktionen wie der Revolte von Wounded Knee 1973 wurde in den 1990er-Jahren der von den US-Nationalisten jahrelang gepflegte Custer-Mythos neu untersucht.
Archäologische Untersuchungen zeigten ein anderes Bild des angeblich heldenhaften Kampfes von General Custer. Die Folge war die Umbenennung des "Custer Battlefield Monument" am Schlachtfeld von Little Bighorn in Montana in "Little Bighorn Battlefield Monument" im Jahre 1991. Präsident George Bush Senior unterzeichnete persönlich den Vertrag.
Außerdem wurde 1999 mit dem Bau eines neuen Denkmals am gleichen Ort begonnen: dem "Indian Memorial" als Symbol für den großen, tapferen Kampf der Ureinwohners Amerikas um Freiheit und kulturelle Identität.
Ein Denkmal für den Häuptling Crazy Horse, der die US-Armee am Little Bighorn River besiegte
(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 01.12.2020)
Anmerkung der Redaktion:
IST DIE BEZEICHNUNG "INDIANER" DISKRIMINIEREND?
Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Die Sprache wandelt sich stetig und damit auch die Ansichten, die wir mit bestimmten Begriffen verbinden.
Der Ursprung der Bezeichnung "Indianer" beruht auf einem historischen Irrtum – dass Christoph Kolumbus dachte, er sei in Indien an Land gegangen – und ist damit eine geografische Fehlbezeichnung. Das allein macht den Begriff aber nicht zur Diskriminierung.
Dennoch haben wir uns entschieden, die Bezeichnung "Indianer" nur noch in Anführungszeichen zu verwenden. Dafür waren mehrere Gründe entscheidend:
- Die Bezeichnung "Indianer" ruft immer Assoziationen wach, die stark von Klischees geprägt sind und mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben.
- Gerade in Deutschland verbindet man mit dem "Indianer" zwar viele positive Eigenschaften – geprägt von Karl Mays Winnetou und Figuren wie der Zeichentrickserie Yakari. Doch auch ein positives Stereotyp wird den Menschen dahinter, auch was ihre kulturelle Vielfalt angeht, nicht gerecht. Außerdem stammt der Begriff aus der Zeit des Kolonialismus und der so genannten Völkerschauen.
- Viele Angehörige indigener Stämme empfinden den Begriff als problematisch oder sogar als kränkend.
Doch welchen Begriff soll man stattdessen verwenden? Auch hier gibt es keine einfache Antwort. Viele Menschen bevorzugen den englischen Ausdruck "Native Americans" (zu deutsch etwa "Gebürtige Amerikaner"). Dieser stammt aber aus der Verwaltungssprache der US-Behörden und wird deshalb von Teilen der Bevölkerung abgelehnt. In Kanada ist der Begriff "First Nations" ("Erste Nationen") gängig, allerdings nur für die Völker auf kanadischem Territorium. Das Konstrukt "Indigene Völker Nordamerikas" wird von vielen als sperrig und kompliziert empfunden und wirft oft die Frage auf, ob damit "die Indianer" gemeint seien.
Da die Diskussion um eine korrekte Bezeichnung seit Jahrzehnten anhält und es keine eindeutige Lösung gibt, haben wir uns entschlossen, in unseren Texten eine Mischung aus diesen Begriffen zu verwenden.
Stand: Dezember 2020
Quelle: WDR