Tauschten die Deutschen im Jahr 1890 wirklich die Insel Sansibar gegen die damals britische Insel Helgoland ein?
Im Jahr 1890 wird der deutsche Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck gezwungen, seine Ämter niederzulegen. Sein Nachfolger General Leo Graf von Caprivi distanziert sich von der konservativ-vorsichtigen Politik seines Vorgängers.
Caprivi will das Nationalbewusstsein stärken und für das Deutsche Reich den Status einer Weltmacht erlangen. Dazu gehört auch der Ausbau der Kolonialgebiete in Übersee – schließlich hinkt das Deutsche Reich in diesem Punkt der größten Kolonialmacht Großbritannien entscheidend hinterher.
Am 1. Juli 1890 schließen Deutschland und Großbritannien einen Vertrag ab, der im Volksmund "Helgoland-Sansibar-Vertrag" genannt wird, in Wirklichkeit aber "Vertrag über Kolonien und Helgoland" heißt. Darin sollen Kolonialstreitigkeiten der beiden Länder bereinigt und die Grenzen der deutschen und britischen Kolonien in Afrika festgelegt werden.
So überlassen die Deutschen den Engländern ihre Kolonie Wituland (im heutigen Kenia), verzichten auf Erwerbungen in Uganda, im Betschuanaland (heute Botswana) und an der Somaliküste.
Im Gegenzug erhält das Deutsche Reich einen Zugang von Deutsch-Südwestafrika zum Fluss Sambesi, den sogenannten "Caprivizipfel". Außerdem werden die provisorischen Grenzen zwischen Deutsch-Ostafrika und den britischen Gebieten anerkannt.
Reichskanzler Caprivi erwarb Helgoland 1890 zurück
In dem Abkommen wird weiterhin festgelegt, dass die seit 1807 britische Insel Helgoland an Deutschland zurückgeht. Sie wird aber nicht gegen Sansibar eingetauscht, denn Sansibar ist zu diesem Zeitpunkt ein freies Sultanat und war niemals deutsche Kolonie. Die Deutschen hatten lediglich einen schmalen Küstenstreifen am Festland gegenüber der Insel gepachtet und sich selbst als Schutzmacht Sansibars betrachtet.
Weil England das selbständige Sansibar jedoch für sich vereinnahmen will, treten die Deutschen im Vertrag von 1890 ihre inoffizielle Schutzherrschaft an Großbritannien ab beziehungsweise verpflichten sich, die geplante Schutzherrschaft Englands über Sansibar anzuerkennen.
Schon wenige Tage nach dem Vertrag entsteht die Legende vom angeblichen Tausch der beiden Inseln. Bismarck, der 1884 selbst vergeblich versucht hatte, Helgoland zu erwerben, kritisiert den Handel und den Verzicht auf Sansibar öffentlich als Verlust für Deutschland, um seinen Nachfolger zu diskreditieren.
Damit trägt Bismarck maßgeblich dazu bei, dass in den Zeitungen und an den Stammtischen noch lange Zeit behauptet wird, Deutschland habe bei dem vermeintlichen Tauschgeschäft "einen nagelneuen Anzug gegen einen alten Hosenknopf weggegeben".
(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 16.03.2021)
Quelle: WDR