Nordamerika
Frauen im Wilden Westen
Billy the Kid, Buffalo Bill, Doc Holliday und Wyatt Earp: Die Geschichte des Wilden Westens wurde von Männern geschrieben. Von Frauen ist da wenig die Rede. Dabei war knapp die Hälfte der Pioniere weiblich. Aufschluss über ihr Leben geben Fotos, Aufzeichnungen und Briefe.
Von Claudia Heidenfelder
Die Pionierfrau
Mitte des 19. Jahrhunderts zogen Tausende Amerikaner aus dem Osten des Landes mit ihrem gesamten Hab und Gut Richtung Westen – begleitet von Abenteuerlust, dem Traum von einem Stück Land, der Freiheit, sein eigener Herr zu sein und der Aussicht auf einen bescheidenen Reichtum.
Manche zogen auch in den Westen, weil der Bevölkerungsdruck in den Städten des Ostens zu groß wurde und es zu wenige Arbeitsplätze gab.
Das Pionierleben war voller Entbehrungen. Frauen, die es gewohnt waren, von Hausangestellten bedient zu werden, mussten plötzlich mitten in der Prärie waschen, kochen und gebären.
Und nicht nur das: Sie übernahmen auch Aufgaben, die bis dahin den Männern vorbehalten waren. Sie lernten reiten, den Wagen lenken, das Vieh treiben und Kälber mit dem Lasso einfangen. Ein neuer Frauentypus wuchs heran. Diese Frauen waren selbstbewusst, stark und unabhängig.
Geburt auf dem Treck
Amelia Stewart Knight, eine junge Pionierfrau, beschreibt in ihrem Tagebuch, das 1853 veröffentlicht wurde, die Geburt ihres achten Kindes auf dem Weg über die Cascade Mountains in Oregon: "Es war die schlimmste Straße, die je gebaut wurde... über felsige Hügel, durch matschige Löcher und umgefallene Bäume... Ich war die ganze Nacht über krank und am Morgen nicht in der Lage, den Wagen zu verlassen."
Ihr Kind kam kurz nach der Überquerung des Gebirges zur Welt, aber bevor sie ein richtiges Zuhause hatte – "von Wagen und Zelt mal abgesehen". Viele Frauen benannten ihr Baby nach dem Ort, an dem es geboren wurde. Namen wie Cora Montana, Salina Jane oder Gertrude Columbia erinnerten ein ganzes Leben lang an ihren Geburtsort auf dem Treck.
Unterwegs mit Sack und Pack
Alltag im Planwagen
Der Alltag im Planwagen war spartanisch: Gekocht wurde aus der Kiste. Alles, was die Frauen zur Zubereitung von Mahlzeiten benötigten, befand sich in einer Truhe, ähnlich einem Werkzeugkasten. So waren Geschirr, Besteck, Behälter und sogar Tischtücher immer griffbereit.
Vorräte wie Kaffee, Zucker und Reis wurden in Leinensäcken aufbewahrt. Pökelfleisch, Weizen und Maismehl lagerte man in Fässern. Aufgetischt wurde unter freiem Himmel. Bei vielen Wagen konnte man die Klappe an der Rückseite zu einem Tisch umfunktionieren, denn allzu viele Möbel hatten im Planwagen keinen Platz.
Die Siedlerfamilien mussten sich deshalb genau überlegen, was sie an Hab und Gut mit in die neue Heimat nehmen wollten. Was für die Erwachsenen eine Last war, erlebten die Kinder oft als großes Abenteuer. "Vielleicht war es hart für die Eltern, aber für uns Kinder und junge Leute war es bloß ein langes, perfektes Picknick," schrieb ein Pionier, der den Treck als Kind erlebt hatte.
Die neue Heimat
Wenn die Siedler nach beschwerlichen und gefährlichen Reisemonaten endlich ihr Ziel erreichten, hatte die Knochenarbeit noch lange kein Ende. 1862 wurde per Gesetz jedem neuen Siedler bis zu 65 Hektar kostenloses Land zugesprochen.
Die erste Aufgabe bestand darin, auf dem neuen Grund so schnell wie möglich ein Haus zu errichten. Dazu nutzte man jegliches Material, das man bekommen konnte. In der fast baumlosen Prärie mussten sich die Neuankömmlinge mit zentimeterdicken Rasenstücken behelfen, die übereinander geschichtet wurden.
Das Leben in der neuen Heimat war hart
Holzhäuser gab es nur, wenn in einer nahe gelegenen Stadt mit Holz gehandelt wurde. Manchmal wurde auch einfach der Planwagen zum Haus umgebaut. Die schnell errichteten Hütten hatten oft nicht einmal Türen, Fenster oder einen Kamin. Auch waren sie nicht immer so stabil, wie sie sein sollten.
"Die Freude hielt nur eine Woche an, dann begann es zu regnen. Nachdem es den ganzen Tag geregnet hatte, begann es, durch das Dach zu tropfen. Ich war so erschöpft, dass ich dennoch zu Bett ging... Die Mädchen weckten mich auf. Sie kamen aus ihrem Zimmer und waren nass wie Ratten", schrieb die Pionierfrau Bertha Andersen, die von Dänemark nach Montana gekommen war.
Einige Frauen waren ihren Männern in den Westen erst später nachgereist und auf die neue Art von Wohnung nicht gefasst. Die Siedlerin Anna Shaw berichtete über die Ankunft ihrer Mutter in Michigan: "Irgendetwas in ihr schien nachzugeben und sie sank zu Boden." Vor Schreck über die primitive Behausung hatte sie das Bewusstsein verloren.
Leben in der Wildnis
Wollte man das harte Leben in der Wildnis durchstehen, mussten alle mithelfen. Männer und Jungen arbeiteten meist auf den Feldern, bei den Herden oder in den Minen, während die Frauen mit dem Haushalt beschäftigt waren.
In der ersten Zeit war es unerschwinglich, etwas zu kaufen. Alles musste selbst hergestellt werden, ob Nahrungsmittel, Möbel, Seife oder Kleidung. Freizeit gab es so gut wie gar nicht. Auf den Schultern der Frauen lastete große Verantwortung. Die Männer blieben oft tagelang draußen bei der Arbeit und den Herden, während die Frauen sich um Haus und Kinder kümmerten.
Nicht alle kamen mit der Einsamkeit klar
Die nächsten Nachbarn waren oft mehr als einen Tagesritt entfernt. Die Einsamkeit inmitten der weiten Prärie war für viele ehemalige Städterinnen schwer zu ertragen. Einige Frauen zogen es vor, wieder zurück in den belebten Osten zu gehen.
Den Frauen, die sich entschieden hatten zu bleiben, eröffnete sich eine offenere und freiere Welt. Rodeoreiten, schießen oder Glücksspiel – die Frauen ließen sich kaum noch etwas verbieten. Das klassische Rollenbild von Mann und Frau war überholt. Der Weg in den Westen hatte die Frauen selbstständig und selbstbewusst gemacht.
Quelle: SWR | Stand: 02.03.2020, 13:00 Uhr