Macht der Musik

Musiktherapie

Musik kann beruhigen, entspannen und sogar Schmerzen lindern. Deshalb wird sie bei vielen Therapien eingesetzt: etwa bei Alzheimer, Depressionen oder Autismus, aber auch bei der Behandlung von zu früh geborenen Babys.

Von Salim Butt und Wiebke Ziegler

Therapie von Frühgeborenen

Mit dem Einsatz von Musik erzielte Professor Harald Schachinger große Erfolge: Bis 2004 war er Chef der Frühgeborenen-Station am Berliner Waldkrankenhaus und spielte seinen kleinen Patienten über Kopfhörer speziell ausgewählte Musiktitel vor.

Gelegentlich musizierte er auch selbst für sie auf dem Cello. Mit Musik, so konnte er feststellen, wurde der Herzschlag der Frühgeborenen wesentlich stabiler und gleichmäßiger.

Eine unabhängige Untersuchung konnte zeigen, dass die Säuglingssterblichkeit im Waldkrankenhaus deutlich niedriger ist als in anderen Krankenhäusern. Der Effekt ließ sich leicht erklären. Hat die Musik das richtige Tempo, gibt es einen sogenannten Kopplungseffekt: Der Herzschlag koppelt sich dem vorgegeben Rhythmus an.

Schmerzwissenschaften

Musik bewirkt eine geringere Ausschüttung von Stresshormonen und steigert die Ausschüttung von schmerzkontrollierenden Betaendorphinen. Also empfindet man bei Musik tatsächlich weniger Schmerz.

Zahnärzte nutzen diesen Umstand schon länger. Und bei einer Teilnarkose schirmt die Musik natürlich auch unangenehme Geräusche von außen ab.

Mit Musik fällt die Entspannung beim Zahnarzt leichter | Bildquelle: ddp

Musik ist außerdem Fürsorge und Betreuung – der Patient fühlt sich besser aufgehoben. Auch in der Therapie chronischer Schmerzen wird sie eingesetzt. Patienten berichten zum Beispiel, dass sie von der Musik regelrecht von ihren Schmerzen abgeschirmt würden.

Nachgewiesen sind auch positive Effekte bei der Behandlung von Tinnitus-Patienten. Neben Entspannung wurden durch ausgewählte Musik auch störende Ohrgeräusche überlagert und aus dem Bewusstsein gedrängt.

Neurologie

In der Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten ist es wichtig, den Patienten ihre motorischen Fähigkeiten wieder anzutrainieren. Mit einer Gruppe von Nichtmusikern wurde so ein Rehatraining mit Musikübungen auf einer Tastatur und einem elektronischen Schlagzeug durchgeführt. Es zeigte sich, dass sie schneller Fortschritte machten als andere Patienten.

Man nimmt an, dass das unter anderem daran liegt, dass die Patienten beim Musizieren eine unmittelbare Rückmeldung übers Ohr bekommen, ob sie eine Bewegung richtig ausgeführt haben oder nicht. Außerdem macht diese Form des Trainings den Patienten einfach mehr Spaß und erhöht so auch ihre Leistungsbereitschaft während der Trainingseinheiten.

Geriatrie

Musik wird auch bei Alzheimer-Patienten angewendet. An der Uni Zürich untersuchte man im Kernspintomografen Musikergehirne und fand heraus, dass sie an einigen Stellen mehr Masse aufweisen als Gehirne von Nicht-Musikern. Deshalb geht man davon aus, dass der Abbau von Hirnsubstanz durch Musizieren gebremst werden kann.

Erste Versuche, die Alzheimer-Patienten mit Musik zu therapieren, zeigten großen Erfolg. Angebote wie beispielsweise "Musik auf Rädern" kommen sowohl bei den Betroffenen als auch bei Pflegern und Angehörigen gut an. Musiktherapeuten kommen zu den Menschen nach Hause, ins Heim oder ins Krankenhaus und singen Lieder.

Die Musik kann in manchen Fällen der einzige Zugang zum Patienten sein, vor allem wenn sie keine Sprache mehr verstehen. Die Patienten sind nach einer Therapiestunde ausgeglichener und entspannter. Darüber hinaus gibt es inzwischen auch andere musikalische Angebote speziell für Alzheimer-Patienten, wie etwa Konzerte, Tanzcafés und Kunstveranstaltungen.

Mit Musik fühlt der Patient sich besser | Bildquelle: ZB/Jens Kalaene

Psychiatrie

Musik verringert Ängste und mildert Depressionen. Davon berichtet sogar schon die Bibel: Der Hirte David soll König Saul auf seiner Harfe vorgespielt haben, wenn dieser deprimiert war – bis "der böse Geist von ihm wich".

Ein etwas moderneres Beispiel sind die "Goldberg Variationen" von Johann Sebastian Bach. Sie haben eine einfache Struktur, sind aber auch sehr variabel, was perfekt war, um dem depressiven Grafen, für den sie komponiert wurden, zu helfen. Musik scheint Bereiche im Gehirn zu erreichen, die mit Sprache nicht zugänglich sind.

Deshalb wird sie auch beim sogenannten frühkindlichen Autismus eingesetzt. Bei autistischen Menschen ist die emotionale Verarbeitung gestört. Das bedeutet, dass sie enorme Schwierigkeiten haben, Beziehungen und Stimmungen auszudrücken. Musik kann ihnen genau dabei helfen.

Therapeuten der Uni Witten/Herdecke kommunizieren allein durch Musik mit ihren jungen Patienten. Dadurch lockern sie sich während der Stunden und gehen langsam selbst auf die Musik ein. Nach der Therapie sind sie entspannter und ruhiger.

(Erstveröffentlichung: 2009. Letzte Aktualisierung: 23.07.2019)