Romantisch verklärt von Eichendorff, gepriesen von Goethe, war Schlesien seit der Völkerwanderung ein klassisches Durchzugsland. In grauer Vorzeit siedelten sich germanische und slawische Stämme in Schlesien an.
Drehscheibe zwischen Ost und West
Schlesien – ein "zehnfach interessantes Land", schrieb Goethe begeistert im August 1790, als er sich in der Nähe Breslaus aufhielt. Obwohl angekündigt, kam es nie zu einer literarischen Verarbeitung seiner "Schlesischen Reise", wiewohl Schlesien reichlich Stoff dafür hergegeben hätte.
Schlesien (lateinisch: "Silesia") erhielt seinen Namen von dem vandalischen Stamm der Silinger. Slawische und germanische Stämme besiedelten von alters her den schlesischen Landstrich. Jahrtausendelang war Schlesien ein gemischtsprachiges Land.
Diese seit den Anfängen menschlicher Besiedelung multikulturelle Ausrichtung und die geopolitische Lage führten jedoch zu einer spannungsreichen Geschichte: Immer wieder übten die Anrainer Druck auf die schlesische Region aus.
Südlich der Sudeten nahm das Přemsylidenreich Böhmen Form an und stellte territoriale Ansprüche, die bis um die erste Jahrtausendwende nach Christus aufrechterhalten wurden. Dagegen erstarkte im Nordosten das polnische Herzogtum und im Westen grenzte das Heilige Römische Reich an Schlesien.
Zwei bedeutende Achsen ordneten das langgestreckte schlesische Territorium. Von West nach Ost führte die "Via Regia" von Santiago de Compostela über Paris, Frankfurt und Leipzig ins schlesische Görlitz. Von dort ging sie weiter nach Breslau und Krakau, bis sie schließlich in Kiew endete. Güter und Handelswaren, Siedler und Reisende gelangten auf dieser alten Handelsroute nach Schlesien.
Schlesiens pulsierende Hauptschlagader aber ist die Oder, die vom Südosten nach Nordwesten fließt und das Land der Länge nach durchquert.
Im Mittelalter wächst der deutsche Einfluss
Um das Jahr 900 wurde Schlesien östlich der Oder polnisch, 990 fiel ganz Schlesien an das Königreich Polen. Im Verlauf der Herrschaft des polnischen Fürstengeschlechts der Piasten kam es immer wieder zu Erbteilungen. Schlesien wurde ein Flickenteppich kleiner Herrschersitze.
Unter dem Schutz von Kaiser Friedrich I. Barbarossa begann im 12. Jahrhundert eine zunehmende Germanisierung Schlesiens, ohne die Region aus dem polnischen Staatsverband zu lösen. Im Deutschen Reich erzogene Fürstensöhne der Piasten lehnten sich enger an Deutschland an und übernahmen in Schlesien Wirtschafts- und Rechtsformen, die sie in Deutschland kennengelernt hatten.
Kaiser Friedrich I. Barbarossa
Im Zuge der sogenannten deutschen Ostkolonisation wurden deutsche Siedler aus Flandern, Franken, Sachsen und Thüringen geworben. Die deutschen Siedler gründeten Städte, Dörfer, Klöster und Handelsniederlassungen. Deutsche Verwaltungs- und Rechtsstrukturen wurden auch von der verbliebenen polnischen Bevölkerung übernommen – Schlesien wurde zur Brücke zwischen Ost und West.
Im 13. Jahrhundert fiel das aufstrebende Schlesien dem Mongolensturm zum Opfer. Die nach Europa vorstoßenden Mongolen drangen 1241 bis nach Schlesien vor, verwüsteten das Land und töteten einen großen Teil der Bevölkerung. Doch der Überlebenswille der schlesischen Bürger war groß und die Menschen bauten ihre Städte wieder auf.
Von Habsburg zu Preußen
Im Jahr 1327 verloren die Piasten den Bezug zu ihrer polnischen Stammheimat und unterstellten sich der Lehenshoheit der böhmischen Könige. Schlesien verstärkte seine Anbindung an den Westen. Die böhmische Herrschaft ging 200 Jahre später auf das Haus Habsburg über, und Schlesien gehörte von 1526 bis 1742 zu Österreich.
Im Jahr 1740 machte Friedrich der Große von Preußen fadenscheinige Besitzansprüche geltend, fiel in Schlesien ein und annektierte das Gebiet in mehreren erbitterten Kriegen. Im Frieden von Breslau musste Österreich fast ganz Schlesien, dazu die böhmische Grafschaft Glatz, an Preußen abtreten. Damit fiel Schlesien 1871 automatisch an das neu gegründete Deutsche Reich.
Friedrich der Große fiel in Schlesien ein
Im 19. Jahrhundert wuchs Schlesien zu einem wirtschaftlichen Schwergewicht heran. Bereits durch die florierende Tuchindustrie war Schlesien zu einem wichtigen Wirtschaftsstandort in Europa avanciert. Nun erhielt es durch seinen groß angelegten Steinkohleabbau zentrale ökonomische und strategische Bedeutung. Schlesiens gewaltige Montanindustrie war der Kohleförderung und Verhüttung im hochindustriellen Ruhrgebiet ebenbürtig.
Schlacht um den Annaberg
An der Schwelle zum 20. Jahrhundert lebten in Schlesien 3,5 Millionen Deutsche und eine Million Polen. Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg kam es im Zuge der europäischen Neuordnung zur Neugründung der Staaten Polen und Tschechoslowakei.
Auf Druck des damaligen US-Präsidenten Wilson sollte das schlesische Territorium entsprechend seiner Bevölkerungsmehrheiten neu aufgeteilt werden. Polen beanspruchte Oberschlesien für sich, ein Gebiet östlich der Neiße und Hauptsiedlungsgebiet der schlesisch-polnischen Bevölkerung.
Die Siegermächte standen dem polnischen Ansinnen wohlwollend gegenüber, bedeutete die drohende Gebietsabtrennung für Deutschland doch den Verlust des oberschlesischen Industriereviers, eines der mächtigsten deutschen Rüstungszentren.
Doch Wilson bestand vor einer endgültigen Grenzziehung zugunsten Polens auf einer Volksabstimmung. Am 21. März 1921 wurde das Referendum durchgeführt, das Ergebnis fiel mit 706.820 Stimmen zu 479.414 Stimmen zugunsten Deutschlands aus. Die überwiegend deutsche Stadtbevölkerung hatte sich gegenüber den polnischen Mehrheiten auf dem Lande durchgesetzt.
Als die Alliierten begannen, das oberschlesische Gebiet entsprechend den Stimmgewichtungen aufzuteilen, widersetzte sich der polnische Politiker Wojciech Korfanty und versuchte, unterstützt von privaten Streitkräften, den gewaltsamen Anschluss Oberschlesiens an Polen.
Die junge deutsche Reichsregierung mobilisierte Freikorpsverbände. In den folgenden blutigen Auseinandersetzungen zwischen polnischen Separatisten und den ehemaligen deutschen Frontsoldaten gewannen die Deutschen am 21. Mai 1921 die Entscheidungsschlacht am schlesischen Annaberg. Korfanty musste einlenken, Deutschland wurde aber von den Alliierten genötigt, die paramilitärischen Streitkräfte zu entwaffnen.
Der Völkerbund regelte die endgültige Grenzziehung. Polen wurde rund ein Drittel des oberschlesischen Territoriums zugeteilt, darunter die Gebiete Kattowitz und Königshütte mit ihrer bedeutenden Schwerindustrie.
Kampf um Schlesien auf allen Ebenen
Schlesien im Zweiten Weltkrieg
Am 31. August 1939 überfiel eine Einheit der SS ("Schutzstaffel") auf Befehl Adolf Hitlers die schlesische Radiostation bei Gleiwitz in der Nähe der polnischen Grenze. Die Männer der Einheit waren als polnische Freiheitskämpfer getarnt, um den Anschein zu erwecken, dass Polen die Angreifer gewesen seien.
Diese Propaganda-Inszenierung war für Hitler der Vorwand, am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg zu beginnen und in Polen einzumarschieren. Nach einem Monat war Polen besiegt und die Wehrmacht begann ihren Rassekrieg gegen die polnische Bevölkerung, dem sechs Millionen Polen zum Opfer fielen.
Nach dem deutschen Angriff auf Polen 1939 wurde Ostoberschlesien an das Deutsche Reich angeschlossen. Dabei schoben die Nationalsozialisten die schlesische Grenze nach Osten vor. 1941 umfasste das Reichsgebiet mit dem "Gau Oberschlesien" jetzt auch den Landstrich Auschwitz, der durch das Vernichtungslager und die systematische Ermordung von Millionen europäischer Juden zum Sinnbild des nationalsozialistischen Grauens wurde.
Mit dem Angriff auf Polen begann der Zweite Weltkrieg
Doch der ethnisch geführte Krieg wendete sich bald gegen den Aggressor. Galt Schlesien bis 1945 noch als "Reichsluftschutzkeller", aufgrund der hohen Distanz unerreichbar für die alliierten Bomberverbände, so drohte jetzt Gefahr aus dem Osten von der heranrückenden Roten Armee.
Am 19. Januar 1945 fiel das hochindustrialisierte Oberschlesien in sowjetische Hände. Die Rote Armee überrollte Niederschlesien und umzingelte bald die Stadt Breslau, die darauf zur Festung erklärt wurde und bis zum "letzten Blutstropfen" verteidigt werden sollte, so der damalige Gauleiter Hanke. In erbitterten Kämpfen wurde die Stadt zu 70 Prozent zerstört, bevor sie sich am 6. Mai 1945 den sowjetischen Truppen ergeben musste.
Schlesien wird polnisch
Aus Furcht vor der heranrückenden Roten Armee verließen die Schlesier zu Hunderttausenden in schlecht gerüsteten Flüchtlingstrecks ihre Heimat. Schlesien fiel unter russische Besatzung, wurde schließlich vom Deutschen Reich abgetrennt und Polen zugesprochen.
Zwischen 1945 und 1947 wurde der größte Teil der verbliebenen deutschsprachigen Bevölkerung systematisch vertrieben. Unter den langen Jahren der kommunistischen Herrschaft war das Verhältnis zwischen den Deutsch-Schlesiern und Polen von Spannungen geprägt.
Während die Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik Deutschland auf ihren alljährlichen Pfingsttreffen lautstark die Wiederanbindung Schlesiens an Deutschland forderten, suchten die kommunistischen Machthaber nach Kräften ein geschichtliches Zerrbild in den Köpfen der Menschen zu verankern, demzufolge die deutsche Besiedelung in Schlesien nie stattgefunden hatte. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs kam es nach rund 45 Jahren zur substanziellen Wiederannährung beider Staaten.
Kurz vor der Wiedervereinigung erkannte Deutschland in den "Zwei-plus-Vier-Verträgen" endgültig die 1945 neu gezogenen Grenzen mit Polen an. Die Annährung schuf die Voraussetzungen für eine Aufarbeitung der leidvollen gemeinsamen Geschichte. Und sie ermöglichte den Brückenschlag in die Zukunft, in ein gemeinsames vereintes Europa der Regionen, in dem Schlesien seine komplexe Identität festigt und zu neuer Blüte findet.
1991: Die neuen Grenzen werden anerkannt
Quelle: SWR | Stand: 15.06.2020, 11:19 Uhr