Tokio von oben: viele Hochhäuser und ein Fluss.

Metropolen

Tokio

Schön ist Tokio nicht. Weil die Stadt durch Feuersbrünste, Erdbeben und Bombenangriffe oft zerstört wurde, ist kaum Altes geblieben. Tokio besuchen heißt Mega-City erleben.

Von Mareike Potjans

Ein kleines Örtchen namens Edo

Schon im 18. Jahrhundert machten mehr als eine Million Einwohner Tokio zur größten Stadt der Welt, heute lebt im Großraum ein Viertel der Bevölkerung Japans. Überfüllte U-Bahnen, permanenter Lärm und Neongeblinke gehören hier zum Alltag. Allgegenwärtig ist außerdem die Angst vor der nächsten großen Erdbeben-Katastrophe.

Neonreklamen blinken, aus den Spielhöllen quillt laute japanische Popmusik, der Himmel ist zwischen den Wolkenkratzern kaum auszumachen – wer heute mitten in Tokio steht, kann sich kaum vorstellen, dass hier vor 550 Jahren nur ein Schloss und ein paar Häuser standen.

Edo, wie die Stadt damals hieß, taucht in den Geschichtsbüchern zum ersten Mal im 12. Jahrhundert auf. Damals soll sich ein Mann nahe der Mündungen der beiden Flüsse Hirakawa und Sumida ein befestigtes Haus gebaut haben. Er nannte den Ort und auch seine Familie Edo ("Flussmündung"). Als eigentliches Gründungsjahr der heutigen Metropole gilt aber 1457. In diesem Jahr baute Fürst Ota Dôkan ein Schloss an der Stelle, wo heute der Kaiserpalast steht.

Eine Brücke über einen Fluss, im Hintergrund Bäume und ein Gebäude des Kaiserpalastes mit spitzen, verzierten Dächern.

Der Kaiserpalast steht an der Gründungsstelle von Tokio

Knapp 300 Jahre später war aus dem kleinen Ort die größte Stadt der Welt geworden: Schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts lebten mehr als eine Million Einwohner in Edo. Die Gründe für das rasche Wachsen der Stadt liegen vor allem in ihrer geografischen Lage: Die Bucht von Edo bot mehr Schutz als ein Hafen am offenen Meer. Der Ort ist zudem weit vom asiatischen Festland entfernt und konnte nicht so schnell von möglichen Invasoren wie den Mongolen erreicht werden.

Außerdem schnitten sich die Straßen nach Osten, Norden und durch die Berge der heutigen Tama-Region in Edo. Diese Vorteile erkannte der Anführer der Samurai, Shogun Toyotomi Hideyoshi, bereits Ende des 16. Jahrhunderts und verlegte den Regierungssitz von Kioto nach Edo. Damals begann die Blütezeit des heutigen Tokio, das allerdings im Laufe der Geschichte immer wieder von Feuersbrünsten zerstört wurde.

Aus Edo wurde Tokio

Im 19. Jahrhundert kämpften Truppen des Kaisers und des Shoguns um die Vorherrschaft in Japan. Der Shogun war der Anführer der Kriegerkaste der Samurai, der offiziell dem Kaiser unterstand. Im Laufe der Zeit hatte er aber immer mehr an Macht gewonnen und war zum eigentlichen Oberhaupt des Staates geworden.

Als die Truppen des Kaisers 1868 gewannen, verließ der letzte Shogun das Edo-Schloss und Kaiser Meiji zog ein. Von nun an hieß Edo To-kio, also "östliche Hauptstadt" (Kioto bedeutet "Hauptstadt-Stadt") und löste Kioto offiziell als Japans Hauptstadt ab. Allerdings hatte Kioto auch schon zuvor an politischer Macht verloren und war nur noch formal Hauptstadt gewesen.

In der Meiji-Ära öffnete sich Tokio den Errungenschaften des Westens: Pferdebusse und später auch Straßenbahnen wurden eingesetzt, Steinhäuser wurden gebaut und die westliche Mode galt als schick.

Zerstörung durch Erdbeben und Krieg

Doch Tokio standen schwere Jahre bevor. Am 1. September 1923 zerstörte das große Kantô-Erdbeben einen Großteil der Stadt. Drei Tage lang wüteten Feuersbrünste in Tokio und Umgebung. 140.000 Menschen starben und 132.000 Häuser wurden zerstört.

Schwarzweiß-Foto einer völlig zerstörten Stadt. Nur ein paar Ruinen stehen noch.

Nach dem großen Beben von 1923

Der Wiederaufbau dauerte sieben Jahre und gab Tokio ein neues Gesicht. Denn die Katastrophe wurde dazu genutzt, die Infrastruktur der Stadt den Autos und Straßenbahnen anzupassen. So entschloss sich die Stadtverwaltung zum Beispiel dazu, breitere Straßen zu bauen.

Doch die nächste Katastrophe war nicht weit. 1945 bombardierten amerikanische Militärflugzeuge in über 100 Luftangriffen die Hauptstadt des faschistischen Japan. Die sich schnell ausbreitenden Feuer zerstörten erneut die Stadt und forderten 145.000 Opfer.

Viele Menschen hatten sich aber schon vorher in Sicherheit gebracht und waren aufs Land zu Verwandten gezogen. Der Wiederaufbau erfolgte erstaunlich schnell. Schon 1955 hatte Tokio sechs Millionen Einwohner, zehn Jahre später waren es noch einmal doppelt so viele. Und es sollten noch viele mehr werden.

Mega-City

Inzwischen leben gut 39 Millionen Menschen im Großraum Tokio (Stand 2019), davon fast zehn Millionen im Kernbereich der Stadt. Das bedeutet, dass ein Viertel der japanischen Bevölkerung auf knapp vier Prozent der Landesfläche wohnt. Erfahrbar wird das besonders für den, der während der Rushhour U-Bahn fährt. Denn da es 800.000 Unternehmen in Tokio gibt, müssen morgens unglaublich viele Menschen zur Arbeit und abends wieder zurück.

Die geöffnete Tür eines vollbesetzten U-Bahn-Waggons. Von außen drücken Männer in Uniformen und weißen Handschuhen die Fahrgäste in den Wagen

In Tokio zählt jeder Zentimeter

Das Gedränge nutzen manche Männer für sexuelle Übergriffe aus; immer wieder beschweren sich Frauen, dass sie in der Metro begrapscht werden. Deswegen führte die Verwaltung besondere Waggons ein, die durch rosa Blumen gekennzeichnet sind und in den vollen Zeiten nur von Frauen benutzt werden dürfen.

Eine lebensbedrohende Gefahr lauert unter der Erde: Da unter Japan verschiedene Erdplatten aufeinandertreffen, erschüttern immer wieder Erdbeben auch die Region um Tokio – allerdings sind dies meist kleinere, die keine großen Schäden verursachen.

Da es seit dem Kantô-Erdbeben im Jahr 1923 kein schweres Beben mehr in Tokio gegeben hat und diese normalerweise in einem Rhythmus von 60 Jahren auftreten, rechnen viele Tokioter aber in naher Zukunft mit einer weiteren Katastrophe. Hinweise zum richtigen Verhalten bei einem Erdbeben fehlen in keiner Wohnung und in keinem Japan-Reiseführer.

Tokio-Klischee in Shibuya

Tokio besteht aus 23 Hauptstadtbezirken. Diese sind weitgehend autonom, besitzen eine eigene Verwaltung und wählen sogar einen eigenen Bürgermeister. Die Bezirke wiederum sind unterteilt in meist mehrere Stadtteile. Ginza gilt als elegantester von ihnen. Auf der riesigen Einkaufsstraße findet man fast nur teure und vor allem westliche Markengeschäfte.

Das Kaufhaus Matsuzakaya war das Erste, das Käufer betreten durften, ohne vorher ihre Schuhe auszuziehen. Abends verwandelt sich Ginza in ein Vergnügungsviertel – allerdings nur für Menschen mit entsprechendem Einkommen. Denn in Ginza befinden sich fast nur teure Clubs und Restaurants.

Junge Japaner treffen sich deswegen abends eher in Shibuya. Dieser Stadtbezirk entspricht dem Tokio-Klischee vollkommen: blinkende Neonreklame, laute Spielhallen, Karaoke-Bars, riesige Bildschirme an den Hochhäusern und die am meisten frequentierte Fußgängerkreuzung der Welt.

Nur eine Metro-Station von Shibuya entfernt kann man in Harajuku Bizarres erleben: Vor allem sonntags zeigen sich hier Jugendliche, die sich als Manga-Figuren oder Punkmusiker verkleidet haben.

Fußgänger gehen im Stadtteil Shibuya über die Straße.

In Shibuya ist viel los

Die Freiheitsstatue in Tokio

Tokios jüngster Stadtteil ist die künstliche Insel Odaiba in der Bucht von Tokio. Zwar hatte Tokios Regierung schon Mitte des 19. Jahrhunderts damit begonnen, künstlich Land zu gewinnen, das heutige Odaiba wurde allerdings erst 1979 fertig gestellt und Mitte der 1990er Jahre zu einem Unterhaltungs- und Einkaufsviertel.

Vom künstlich errichteten Strand aus hat man besonders nachts einen schönen Blick auf Tokio. Ein paar Meter weiter wähnt man sich plötzlich in der falschen Stadt: Die Freiheitsstatue reckt ihre Fackel zwar nicht so hoch wie in den New Yorker Himmel, beeindruckend bleibt sie trotzdem.

Tokio hat aber mehr zu bieten als trendige Stadtteile und West-Imitationen. Nach einem Bummel durch den ruhigen Yoyogi-Park mit seinen großen Bäumen, von dem Teile zu den Olympischen Spielen 1964 angelegt wurden, erreicht man den Meiji-Schrein.

Der Schrein wurde 1912 nach dem Tod des Kaisers Meiji errichtet und 1958 wieder aufgebaut, nachdem er im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört worden war. Somit fehlt ihm das Flair der alten Schreine und Tempel, die in ganz Japan, aber auch in Tokio zu finden sind. Aber es ist ein Ort der Ruhe, der einen willkommenen Gegensatz zu Neongeblinke und permanenter akustischer Beschallung bildet.

Blick auf eine Imitation der Freiheitsstatue und eine Hängebrücke. Im Hintergrund die Wolkenkratzer von Tokio.

Kopie der Freiheitsstatue

(Erstveröffentlichung: 2008. Letzte Aktualisierung: 18.03.2020)

Quelle: WDR

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