1905-1962: Vom friedlichen Protest zur Terrororganisation
1905: Der Journalist Arthur Griffith gründet die Partei Sinn Féin, zu deutsch "Wir selbst". Er will die irische Selbstbestimmung mit friedlichen Mitteln erreichen.
1913: Im Zuge der großen Streikwelle in Dublin stellt Gewerkschaftsführer James Connolly, der bereits 1896 die Irish Socialist Republican Party gegründet hat, eine radikale Bürgerarmee auf, die "Irish Citizens Army".
1914: Professor Eoin MacNeill gründet in Südirland eine nationalistische Freiwilligenarmee, die "Irish Volunteers". Unterstützung kommt im April aus Deutschland: Der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg sagt Waffenlieferungen zu.
Im August zählen die Freiwilligen bereits 180.000 Mann. Einzige Bestimmung der Armee: die Verteidigung der Selbstbestimmung. Gleichzeitig reorganisiert Thomas Clarke die "Irish Republican Brotherhood" (IRB).
Ursprünglich eine Geheimgesellschaft, die für die nationale Freiheit Irlands in Form einer unabhängigen Republik eintrat, hat die IRB jetzt einen rein militärischen Charakter. Sie schließt sich den Irish Volunteers an. Auch Connollys Irish Citizens Army arbeitet mit den Volunteers zusammen.
1916: Osteraufstand der IRB in Dublin. Auch die Irish Volunteers und die Irish Citizens Army sind dabei. Der Aufstand wird nach sieben Tagen von den britischen Streitkräften niedergeschlagen, die Anführer des Aufstandes werden erschossen, alle anderen inhaftiert.
Das Vorgehen der Briten und die Hinrichtungen führen dazu, dass den Rebellen aus der Bevölkerung offene Sympathie entgegenschlägt.
1919: Die katholischen Abgeordneten von Sinn Féin rufen die Republik Irland aus und gründen ein unabhängiges irisches Parlament, den Dáil Éireann. Eamon de Valera (1882-1975) wird Präsident. Am 22. August 1919 verbietet die englische Regierung den Dáil Éireann.
1919-1921: Anglo-irischer Unabhängigkeitskrieg. Die Irish Republican Army (IRA) gründet sich aus den von Michael Collins (1890-1922) geleiteten Irish Volunteers.
Mitglieder der IRB und der Irish Citizens Army gehen in der IRA auf. Sinn Féin steht der IRA von Anfang an nahe. Ihr ausdrückliches Ziel: die Vertreibung der Engländer aus Irland. Michael Collins baut den Geheimdienst der IRA auf.
1921: Am 11. Juli wird das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Am 6. Dezember unterzeichnet in London eine fünfköpfige Sinn-Féin-Delegation, darunter Arthur Griffith und Michael Collins, den Anglo-Irischen Vertrag. Irland wird geteilt, der südliche Teil wird zum Freistaat, Nordirland bleibt Teil Großbritanniens.
1922-1923: Bürgerkrieg zwischen Vertragsbefürwortern und Vertragsgegnern. Große Teile der IRA lehnen den Vertrag ab. IRA-Leute morden unliebsame britische Politiker, besetzen das Dubliner Gerichtsgebäude, das die irische Regierung daraufhin mit Kanonen beschießen lässt, und setzen den Guerillakampf auf dem Land fort.
Am 12. August stirbt Sinn-Féin-Gründer Arthur Griffith an den Folgen einer Gehirnblutung, am 22. August wird IRA-Geheimdienstchef Michael Collins ermordet. Die IRA operiert seit Ende des Bürgerkriegs vom Untergrund aus.
1936: Die IRA ermordet im Frühjahr den englischen Vizeadmiral Henry Boyle Somerville und wird offiziell zur illegalen Organisation erklärt.
1956-1962: Die IRA führt eine erfolglose Bombenkampagne, die als Border Campaign bekannt wurde, gegen die Teilung Irlands.
1970-1992: Blutige Anschläge in Großbritannien und Irland
1969: Im November kommt es zum Bruch innerhalb der IRA und der Sinn Féin, weil Waffenlieferungen an die IRA-Einheiten in Nordirland ausbleiben und die IRA daher protestantischen Angriffen gegenüber machtlos ist. Es kommt zur Spaltung der IRA in die Official Irish Republican Army (OIRA) und die Provisional Irish Republican Army (PIRA).
1970: Beide IRA-Flügel beginnen, sich wieder zu bewaffnen. Vor allem die Provisionals erhalten Unterstützung von der nationalistischen Irish Northern Aid in New York.
Im Frühsommer durchsucht die britische Armee die katholischen Viertel mit unbeschreiblicher Brutalität nach Waffen, die protestantischen Viertel bleiben verschont. Dieses Vorgehen verstärkt die Unterstützung für die Provisional IRA.
1971: Am 8. März beginnt die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen OIRA und PIRA. Die Kämpfe dauern jedoch nur kurz und enden mit einem Waffenstillstand zwischen beiden Flügeln.
1972: "Bloody Sunday" (Blutsonntag) im nordirischen Derry: Die britische Armee erschießt 14 Demonstranten. Es kommt zu Demonstrationen im ganzen Land. In Dublin wird die britische Botschaft niedergebrannt.
Am 24. März erklärt der britische Premierminister Edward Heath das Parlament und die Regierung in Nordirland für suspendiert, London übernimmt die direkte Herrschaftsgewalt und schafft ein Nordirlandministerium.
William Whitelaw wird Minister in Nordirland. Er schließt am 29. Mai mit der OIRA einen Waffenstillstand, dem sich am 22. Juni die PIRA anschließt. Schon am 9. Juli bricht die PIRA den Waffenstillstand wieder. Am 21. Juli tötet sie am Bloody Friday, Blutfreitag, elf Menschen durch Bombenanschläge.
1974: Nach einer Bombenkampagne der IRA beschließt das britische Parlament mit dem "Prevention of Terrorism Act" Sondergesetze zur Bekämpfung des Terrorismus. Ein am 22. Dezember vereinbarter Waffenstillstand zwischen dem Nordirlandministerium und der IRA hält bis Ostern 1975.
1976: Am 21. Juli ermordet die IRA den britischen Botschafter in Dublin, Christopher Ewart-Biggs. Im August überfährt IRA-Mann Danny Lennon drei Kinder, nachdem er von einem Soldaten durch einen Schuss mit Todesfolge getroffen worden war.
In der Folge gründet die Tante der getöteten Kinder, Mairead Corrigan, zusammen mit Betty Williams die Peace People, eine Friedensbewegung, die von Frauen aller Konfessionen getragen wird. Dafür erhalten Corrigan und Williams 1977 den Friedensnobelpreis.
1979: Die Irish National Liberation Army, INLA, eine militante Abspaltung der OIRA, verübt ein Attentat auf Airey Neave, den für Nordirland verantwortlichen Abgeordneten.
Mit den Wahlen am 3. Mai kommen in Großbritannien wieder die Konservativen an die Macht, Margaret Thatcher wird Premierministerin. Am 27. August werden bei zwei IRA-Anschlägen Lord Mountbatten, der letzte Vizekönig von Indien, in der Republik Irland und 18 Soldaten in Nordirland getötet.
1981: Bobby Sands, Anführer der IRA-Inhaftierten, tritt in den Hungerstreik. Er stirbt am 5. Mai.
1982: Am 20. Juli sterben bei einem IRA-Anschlag in London neun Menschen, mehr als 50 werden verletzt. Zahlreiche weitere Anschläge ziehen sich durch die 1980er-Jahre.
Ab 1992: Zwischen Waffenstillständen und neuer Gewalt
1992: Im Laufe des Jahres richten mehrere IRA-Bomben in Belfast erheblichen Sachschaden an. Am 17. Januar tötet eine IRA-Bombe bei Teebane in der Grafschaft Tyrone sieben protestantische Arbeiter.
Im März zerstört eine IRA-Bombe die Hauptgeschäftsstraße von Lurgan in der Grafschaft Armagh. Bomben in Bangor, Grafschaft Down, und in Coleraine, Grafschaft Derry, richten ähnlichen Schaden an.
1993: Am 24. April richten zwei IRA-Anschläge in der Londoner City einen Schaden von mehr als 700 Millionen Pfund an. Am 23. Oktober tötet eine IRA-Bombe zehn Menschen in einem Fischgeschäft in Belfast.
1994: Am 31. August verkündet die IRA einen unbefristeten Waffenstillstand. Doch schon am 10. November tötet eine IRA-Einheit den Postangestellten Frank Kerr bei einem Raubüberfall in Newry.
1996: Am 9. Februar explodiert in den Londoner Docklands eine IRA-Bombe, die zwei Menschen tötet. Hiermit erklärt die IRA den Waffenstillstand von 1994 für offiziell beendet.
Eine der größten Bomben der IRA-Geschichte verletzt am 15. Juni während der Fußball-Europameisterschaft in der Innenstadt von Manchester mehr als 200 Menschen und verursacht einen Sachschaden von rund 100 Millionen Euro.
Zur gleichen Zeit nimmt Queen Elisabeth II. in London ihre Geburtstagsparade ab. 1997 folgt ein weiterer Waffenstillstand, der ebenfalls in der Folge wieder gebrochen wird.
1998: Am 10. April kommt das sogenannte Karfreitagsabkommen zwischen der Republik Irland, der britischen Regierung und den Parteien in Nordirland zustande. Darin verzichtet die Republik Irland darauf, die Wiedervereinigung mit Nordirland zu fordern. Außerdem wird die Entwaffnung der paramilitärischen Gruppen (unter anderem der IRA) beschlossen.
In der nordirischen Bevölkerung findet das Abkommen eine große Mehrheit. Einige IRA-Anhänger fassen die Abkehr vom bewaffneten Kampf jedoch als Verrat an den "Märtyrern" der IRA auf.
Dieser Ansicht verleiht im August eine neue Abspaltung, die sich Real IRA nennt, mit dem bisher opferreichsten Bombenanschlag des Nordirlandkonflikts Nachdruck: Durch die Explosion eines Sprengsatzes sterben 29 Menschen.
2005: Am 28. Juli erklärt die IRA, den bewaffneten Kampf zu beenden. Fortan wolle sie ausschließlich mit friedlichen Mitteln die Entwicklung von politischen und demokratischen Programmen unterstützen.
Eine internationale Entwaffnungskommission, unter anderem mit unabhängigen Vertretern der protestantischen und der katholischen Kirche, wird eingesetzt. Zwar schweigen die Schusswaffen und Bomben, doch schon am 25. Februar 2006 liefern sich mehrere hundert Anhänger der IRA in Dublin Straßenschlachten mit der Polizei.
Die IRA-Anhänger bewerfen die Polizisten mit Flaschen, Steinen und Feuerwerkskörpern. Mehr als 25 Menschen werden bei den schlimmsten Ausschreitungen seit Jahrzehnten verletzt.
Im März 2009 erschießen Splittergruppen der IRA innerhalb von zwei Tagen zwei Soldaten in einer Kaserne nordwestlich von Belfast und einen Polizisten in Craigavon.
Auch danach gibt es vereinzelte Anschläge. Im April 2011 stirbt ein 25-jähriger Polizist bei einem Bombenanschlag. 2019 erschießen IRA-Dissidenten bei einer Demonstration im nordirischen Derry eine 29-jährige Journalistin.
Im gleichen Jahr explodieren mehrere Bomben, die nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden Polizisten treffen sollten. Ob die Anschläge aber wirklich alle auf das Konto der IRA gehen, ist nicht abschließend geklärt.
(Erstveröffentlichung: 2006. Letzte Aktualisierung: 12.06.2020)
UNSERE QUELLEN
- Dietrich Schulze-Marmeling (Hrsg.): Nordirland. Geschichte, Landschaft, Kultur & Touren. Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 1996, ISBN 3-89533-177-5
- Frank Otto: Der Nordirlandkonflikt. Ursprung, Verlauf, Perspektiven. Verlag C.H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-528066