"...und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt..."
Die 3000 Taler, mit denen der schleswig-holsteinische Herzog Friedrich Christian II. den Dichterfürsten Friedrich Schiller während einer längeren Krankheitsphase unterstützte, sollten sich für die Nachwelt als lohnende Anlage erweisen.
Zum Dank verfasste Schiller eine philosophische Abhandlung mit dem Titel "Über die ästhetische Erziehung des Menschen", die der Herzog in Gestalt einer Serie von Briefen erhielt. Im Jahre 1795 bekam er Schillers 15. Brief, der den berühmten Satz enthält: "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."
Auch wenn Schiller hier vor allem an eine künstlerische Darbietung gedacht haben mag, wenn er das Wort "spielen" gebraucht: Viele spätere Psychologen und Pädagogen hätten diesen Satz auch im Hinblick auf das Spielen an und für sich unterschreiben können.
Rund 115 Jahre nach Schillers Brief an den Herzog beobachtete die italienische Ärztin und Reformpädagogin Maria Montessori ein dreijähriges Mädchen, das in sein Spiel vertieft die Welt um sich herum ignorierte. Sie nannte das Phänomen die "Polarisation der Aufmerksamkeit", das heute auch als "Montessori-Phänomen" bekannt ist.
Ein weiterer Kandidat für die Unterschrift unter Schillers Satz ist der Chicagoer Psychologe Mihály Csíkszentmihályi. Er erfand 1975 den Begriff "Flow" für einen geistigen Zustand des konzentrierten Ausübens einer Tätigkeit, die den Ausübenden nicht unterfordert, aber auch nicht überfordert.
Zustimmung zu Schiller ist auch dem Hamburger Erziehungswissenschaftler Hans Scheuerl zuzutrauen, für den Spielen ein "Entrücktsein vom aktuellen Tagesgeschehen" bedeutete.
Bleibt also festzuhalten: Spielen versetzt offenbar den menschlichen Geist in einen Zustand besonderer Konzentration, den die Spielenden als angenehm erleben.
Der Sinn des Spielens
Aber wozu soll das gut sein? Dazu Albert Einstein: "Der Urquell aller technischen Errungenschaften ist die göttliche Neugier und der Spieltrieb des bastelnden und grübelnden Forschers", ließ der nobelpreisgekrönte Physiker im Spätsommer 1930 seine Zuhörer auf der Berliner Funkausstellung wissen.
Jenem Spieltrieb war eine damals neumodische Erfindung zu verdanken, deren Nutzen zweifelhaft und zudem noch recht teuer war, wenn man sie in Gestalt von Industrieprodukten nutzen wollte. Viele, die diese Erfindung dennoch bereits nutzten, hatten in den Augen mancher anderer Zeitgenossen zu viel Zeit. Denn sie bauten sich den entsprechenden Apparat einfach selbst.
Dieser Apparat konnte Töne von sich geben. Radioempfänger hieß dieses Gerät. Auch Einsteins Rede konnten die Besitzer eines solchen Apparates hören. Sieht also ganz danach aus, als ginge es beim Spielen auch darum, die Dinge auszuprobieren, von denen man noch nicht weiß, ob sie mal zu etwas gut sein können.
Sozialwissenschaftliche Antworten
Was aber haben Wissenschaftler, die sich beruflich mit dieser Frage beschäftigen, über den Spieltrieb und das Spielen herausgefunden?
"Im Mittelalter hat man ihn dämonisiert, bei Schiller wurde er idealisiert, heute wird er instrumentalisiert", sagt Martin Geisler, Professor für Medienpädagogik an der Hochschule Jena – und denkt dabei an Firmen, die bei der Personalrekrutierung die Bewerber das Computerspiel "World of Warcraft" spielen lassen.
Denn im Spiel, so die Überlegung der Firmen, könne man Gruppendynamiken beobachten und erkennen, wie etwa wer in einer Situation die Führung übernimmt.
Aber warum spielen wir denn nun? "Wir spielen um des Spielens Willen", sagt Michael Kolb, Sportpädagoge an der Universität Wien. Alles kann ein Spiel sein. Und darum gibt es viele verschiedene Arten von Spielen: Schauspiel, Brettspiel, Fußballspiel.
Der in Flensburg lehrende Sozial- und Sportwissenschaftler Jürgen Schwier hat für die vielen Spielarten eine Systematik in Anlehnung an den französischen Philosophen Roger Caillois geschaffen. Danach gibt es die vier Kategorien "Agon" (griechisch: Wettkampf), "Alea" (lateinisch: Würfelspiel), "Mimicry" (englisch: Nachahmung) und "Ilinx" (griechisch: Rausch).
Und die Spielformen, die sich in eine dieser vier Kategorien einordnen lassen, stuft Schwier nach dem Grad ihrer Regulierung ab, auf einer Skala zwischen "paidia" (griechisch: Kinderspiel, Amüsement) und "ludus" (lateinisch: Spiel, Grundschule). Er kommt zum folgenden Ergebnis:
SPIELFORM | AGON | ALEA | MIMICRY | ILINX |
---|---|---|---|---|
PAIDA | Ungeregelter Wettlauf, Kampf | Auszählspiele | Nachahmungsspiele | Kindliche Drehspiele, Schaukel |
Maske | Walzer, Raven | |||
Athletik | Wette | Travestie | Achterbahn | |
Streetball, Beachvolleyball | Roulette | Streetdance, NIA | Bungee-Jumping | |
Trendsport-Events im Allgemeinen | Lotterie, Automatenspiele | Virtuelle Spielwelten | Inline-Skating, Snow- und Skateboarding | |
Billard, Fußball | Lotterie auf Buchung | Theater | Skifahren | |
LUDUS | Sportwettkämpfe im Allgemeinen | Sportwetten im Internet | Schaukünste im Allgemeinen | Alpinismus, Risikosportarten |
Die Systematik mit ihrer Skala von "Paidia" bis "Ludus" legt nahe, dass wir spielen, weil wir etwas lernen wollen oder uns amüsieren oder beides zugleich; mal überwiegt das Amüsement, mal das Lernen.
Naturwissenschaftliche Erklärungen
Zu ganz ähnlichen Schlüssen kommen die Verhaltensforscher aus der Biologie. "Wenn einem Organismus eine Aktivität Spaß macht, dann ist sie evolutionär auch sinnvoll", sagt der in Tübingen lehrende Biologiehistoriker Thomas Junker, "denn Spaß ist das Zuckerbrot der Evolution, das Organismen dazu motiviert, Dinge zu tun, die ihr Wohlergehen, ihr Überleben und ihre Fortpflanzung fördern."
Spielen als Lernvorgang – für diese Annahme sprechen auch die Ergebnisse des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Die Neurowissenschaflterin Simone Kühn konnte nachweisen, dass bei Menschen, die regelmäßig Computerspiele spielen, diejenigen Regionen im Gehirn wachsen, die für die Koordination des Bewegungsapparates zuständig sind.