Die Geschichte der Volkshochschule Planet Wissen 14.11.2019 02:34 Min. Verfügbar bis 14.11.2024 WDR

Volkshochschule

Die Volkshochschulen in Deutschland

Spanisch sprechen, stricken oder fotografieren: An den Volkshochschulen (VHS) in Deutschland können sich Erwachsene weiterbilden. Die ersten VHS wurden vor mehr als 100 Jahren gegründet.

Von Daniel Schneider

Gründung und pädagogische Ausrichtung

Im Jahr 1919 wird in Weimar die erste deutsche Demokratie gegründet: die so genannte Weimarer Republik. Auch wenn die Lage nach dem Ersten Weltkrieg politisch kritisch bleibt, herrscht ein wenig Zuversicht, sogar eine Art Aufbruch. Der Ruf nach einer Bildungsreform wird laut. Mündige Bürger sind das Ziel, um die Demokratie zu stärken.

In Artikel 148 der Weimarer Reichsverfassung wird festgehalten: "Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden." Das führt zur Gründung von vielen Volkshochschulen, kurz VHS.

Es ist eine revolutionäre Entwicklung: Denn die Bildung gehört nun in die Mitte der Gesellschaft und darf nicht, wie bisher, nur einem kleinen Teil der Bevölkerung vorbehalten sein. Denn Bildung ist wichtig für Freiheit und für Demokratie.

Gesangsunterricht im Volkshochschulheim Dreisigacker in den 1920ern | Bildquelle: picture alliance / ullstein bild / A. & E. Frankl

Auch die Art der Lernens ist neu: Das Konzept "Neue Richtung" setzt nicht mehr auf reine Wissensvermittlung. Es regt die Teilnehmenden an, sich selbst die Inhalte zu erarbeiten; nicht blindlings einer vorgegebenen Richtung zu folgen, sondern kritisch nachzufragen.

Gesprächsgruppen lösen den Frontalunterricht ab und die Bedürfnisse der Bevölkerung stehen im Mittelpunkt. Schon 1922 gibt es mehr als 800 Volkshochschulen in Deutschland.

Die VHS in der Zeit des Nationalsozialismus

In der Zeit des Nationalsozialismus dann wird die Volkshochschule zu einem Instrument der Erziehung. In einer Veröffentlichung der NSDAP von 1934 steht: "Alle Volkshochschulen in Deutschland werden im Geiste der nationalsozialistischen Weltanschauung durchorganisiert".

Manche Volkshochschulen, wie die in Leipzig, lösen sich selbst auf, um dieser Umformung zu entgehen. Sogar der Name "Volkshochschule" wird von den Nationalsozialisten vielfach ersetzt, zum Beispiel durch "Deutsche Heimatschule" oder "Volksbildungsstätte".

An einigen Stellen wächst in der VHS aber der Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Schließlich war die VHS ausdrücklich mit dem Ziel gegründet worden, dass die Bildung zur Stärkung der Demokratie beitragen soll. Bei den Nationalsozialisten dagegen geht es um Propaganda, nicht um Aufklärung.

Einige Pädagogen widersetzen sich diesem System. Adolf Reichwein zum Beispiel, Direktor der Volkshochschule in Jena und später Professor der pädagogischen Hochschule in Halle an der Saale.

1933 wird er aus politischen Gründen entlassen. Er engagiert sich im Widerstand gegen die Regierung unter Adolf Hitler und wird als Kultusministerkandidat im Falle eines erfolgreichen Umsturzes vorgesehen. Am 4. Juli 1944 wird Reichwein von der Gestapo verhaftet und nach einem Prozess im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee erhängt.

Pädagoge Adolf Reichwein gehörte zu den Widerstandskämpfern im Dritten Reich | Bildquelle: ddp images / United Archives

Geteilte Volkshochschulen

Nach dem Zweiten Weltkrieg führen die Siegermächte im Westen die demokratische Bildungsarbeit fort – durch Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen oder Zeitungsartikel. So soll das dunkle Kapitel der deutschen Geschichte aufgearbeitet und eine Wiederholung verhindert werden. Das führt zu einer erneuten Gründungswelle der Volkshochschulen in West- und Ostdeutschland.

Viele ehemalige Kursleiter werden wieder aktiv und beteiligen sich am Neuaufbau. In den 1950er-Jahren werden die Volkshochschulen staatlich verpflichtet, neben allgemeinbildenden Kursen mit der Berufs- und Weiterbildung zu beginnen.

Nach der Trennung zwischen Ost und West wird die Volkshochschule in der sowjetischen Besatzungszone in das Schulsystem integriert und untersteht dem Ministerium für Volksbildung. Sie unterrichtet nach einem verbindlichen Lehrplan. Die Bevölkerung kann auch hier Schulabschlüsse nachholen und sich beruflich weiterbilden.

Der zweite Bildungsweg entwickelt sich in der DDR zu einer wichtigen Säule der Volkshochschule. Bis zum Ausbau der allgemeinbildenden Kurse dauert es bis zu den 1970er-Jahren. Erst dann gibt es Angebote in den Bereichen Kultur und Naturwissenschaften, aber den Schwerpunkt bilden weiterhin die Berufslehrgänge.

Einen Schwerpunkt legt die VHS im Westen ab den 1980ern auf die Unterstützung bildungsbenachteiligter Gruppen. Kurse für Analphabeten werden eingerichtet und die Lehrgänge zum nachträglichen Erwerb von Schulabschlüssen ausgebaut. Auch fachspezifische Angebote wie erste Kurse für den Umgang mit dem PC entstehen in dieser Zeit.

Einheit und Organisation

Nach dem Fall der Mauer treffen sich die ost- und westdeutschen Verantwortlichen im Januar 1990 in Hannover. Die Zukunft der staatlich geleiteten Bildungseinrichtungen in der DDR ist offen. Soll sie als staatliche Schulform fortgeführt werden oder gibt es eine Neuausrichtung? Der 1953 gegründete Dachverband der Volkshochschulen (DVV) richtet eine Zentralstelle für die deutsch-deutsche Zusammenarbeit ein.

Der Erfahrungsaustausch zwischen einzelnen Volkshochschulen in Ost und West hilft bei der Umorientierung. Trotzdem ist es nicht einfach, die neuen Strukturen zu übernehmen und zahlreiche Bereiche aufzubauen, die bisher an den DDR-Einrichtungen keine Rolle spielten.

Der zweite Bildungsweg steht in den neuen Bundesländern nach der deutschen Wiedervereinigung nicht mehr im Mittelpunkt. 1991 werden die ostdeutschen Landesverbände in den Deutschen Volkshochschulverband aufgenommen.  

Neben dem Dachverband gibt es in jedem Bundesland einen Landesverband, der die Interessen der jeweiligen VHS auf landespolitischer Ebene vertritt und sie durch Fortbildungsveranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Die einzelnen Einrichtungen sind bewusst in der Kommune verankert, um besser auf die Bedürfnisse der Bevölkerung vor Ort eingehen zu können.

In Deutschland gibt es etwa 900 Volkshochschulen, in denen hauptberuflich pädagogische Beschäftige, VerwaltungsmitarbeiterInnen und Honorarkräfte für die Veranstaltungen tätig sind. Finanziert wird die VHS aus den Teilnahmegebühren, öffentlichen Zuschüssen von Kommunen und Ländern und durch Einnahmen aus Drittmittel.

Kurs "Zivilcourage und Gewaltprävention" an der VHS Köln | Bildquelle: dpa Picture-Alliance / Rolf Vennenbernd

Themenvielfalt und Digitalisierung

Die Themenfelder der VHS sind in folgende acht Bereiche zusammengefasst:

  • Alphabetisierung und Grundbildung
  • Arbeit und Beruf
  • Digitale Entwicklungen
  • Gesundheitsbildung
  • Integration
  • Kulturelle Bildung
  • Politische Bildung
  • Sprachen

Nicht jede VHS deckt alle Bereiche ab, aber innerhalb dieser feststehenden Rubriken sind die einzelnen Angebote der jeweiligen Einrichtungen geordnet.

Die Angebote in Deutschland richten sich neben den geographischen Gegebenheiten sehr stark nach den großen gesellschaftlichen Themen. Im Bereich der Integration ist die Volkshochschule eine wichtige Institution. Sie ist derzeit von Bund und Ländern ermächtigt, den Deutschtest für Zuwanderer (DTZ) als Abschlusstest der Integrationskurse durchzuführen.

Auch die Digitalisierung spielt seit vielen Jahren eine wichtige Rolle. Im Jahr 2000 gibt es erstmals eine Internetbildungsaktion der Volkshochschulen, den Kurs "Internet für Einsteiger". Für manche ist das existenziell, denn berufsbedingt muss innerhalb kürzester Zeit der Umgang mit dem Internet erlernt werden.

2015 wird die Strategie der "erweiterten Lernwelten" beschlossen. Dazu gehört zum Beispiel die vhs-cloud, das Online-Netzwerk der Volkshochschulen und Deutschlands größtes offenes Lernportal zur Alphabetisierung und Grundbildung: www.ich-will-lernen.de .

(Erstveröffentlichung 2019. Letzte Aktualisierung 01.10.2019)