Intelligenz

Zwillingsforschung: Der Intelligenz auf der Spur

Eineiige Zwillinge haben exakt die gleichen Erbanlagen. Eine Laune der Natur, die für Wissenschaftler hochinteressant ist. Denn die Zwillingsforschung kann Antworten liefern – etwa auf die Frage, wie sich Merkmale wie Intelligenz entwickeln.

Von Anke Riedel

Interessante Laune der Natur

Besser könnte eine Versuchsgruppe auch unter Laborbedingungen nicht aussehen: Eineiige Zwillinge sind wie Klone, also genetisch identisch. Sie entwickeln sich aus einer befruchteten Eizelle, die sich in den ersten Tagen der Embryonalentwicklung teilt. Zwillinge teilen sich zu Beginn des Lebens eine Gebärmutter und verbringen oft auch den Rest ihres Lebens nahe beieinander.

Die genetische Ausstattung kann unter Umständen leicht abweichen, wie Forscher von der University of Alabama bereits 2008 berichteten. So erklärt sich die Tatsache, dass ein Zwilling eine Krankheit entwickeln kann, während der andere gesund bleibt. Dennoch weisen eineiige Zwillinge die größtmögliche genetische Übereinstimmung auf.

Bei zweieiigen Zwillingen lässt die Ähnlichkeit bereits stark nach, sie sind sich so ähnlich wie ganz normale Geschwister. Ihre genetische Ähnlichkeit beträgt durchschnittlich 50 Prozent. Was sie jedoch besonders macht: Sie wachsen anders als normale Geschwister parallel auf. Die Umwelteinflüsse prasseln also zur gleichen Zeit auf die Geschwister ein.

Angeboren oder anerzogen? Die Lebensläufe von Zwillingen geben Aufschluss | Bildquelle: imago/imago stock

Einfluss der gemeinsamen Umwelt

Egal ob eineiig oder zweieiig: In der Regel leben Zwillinge im gleichen Haushalt. Sie teilen sich also nicht nur die Gene, sondern meist auch noch Elternhaus, Schule oder Umfeld. Eine spannende Konstellation, vor allem wenn es um die Frage geht, welchen Einfluss die Gene auf bestimmte Merkmale wie die Intelligenz haben und welche Rolle die Umwelt dabei spielt.

Sind sich beispielsweise eineiige Zwillinge ähnlicher als zweieiige, muss das an der größeren genetischen Übereinstimmung liegen. Weitergedacht bedeutet das: Der Einfluss der Umwelt spielt eine größere Rolle, wenn sich Zwillinge nicht oder nur wenig unterscheiden. Denn dann tragen Umwelteinflüsse zu dieser Ähnlichkeit bei, zum Beispiel die Erziehung, der soziale und finanzielle Status oder auch der kulturelle Hintergrund.

Ähnlich spannend können Adoptivgeschwister für die Forschung sein: Sollten sich die Geschwister tatsächlich in bestimmten Bereichen ähneln, muss diese Ähnlichkeit auf gemeinsame Umweltfaktoren zurückgehen, da Adoptivgeschwister ja nicht genetisch miteinander verwandt sind.

Genauso aufschlussreich kann dabei für Forscher ein Vergleich der adoptierten Kinder mit ihren biologischen Eltern sein: Da Eltern und Kinder getrennt leben, müssen bei Ähnlichkeiten die Gene eine Rolle spielen.

Nicht nur die Gene, auch der gemeinsame Alltag sorgt für Ähnlichkeit | Bildquelle: picture alliance / Frank May

Schlau geboren

Was ist nun wichtiger für die Intelligenzentwicklung – Gene oder Umwelteinflüsse? Die wenig überraschende Antwort: Beides ist für die kognitive Entwicklung wichtig. Doch im Laufe des Lebens gewinnen die Gene immer mehr an Bedeutung. Das ist in Zwillingsstudien sehr gut untersucht worden.

Bei der Geburt machen die Gene etwa 25 Prozent aus. Das bedeutet im Klartext: 25 Prozent der Unterschiede im Bezug auf kognitive Fähigkeiten/Intelligenz können durch genetische Unterschiede erklärt werden. Bei Schuleintritt sind es schon etwa 50 Prozent – und im späteren Leben machen die Gene sogar bis zu 70 Prozent aus.

Je älter die Zwillinge werden, umso mehr lassen sich Unterschiede, zum Beispiel bei Intelligenztests, durch genetische Faktoren erklären.

Je weiter die Forschung voranschreitet, desto mehr verschiebt sich die Aufmerksamkeit aktuell in Richtung Gene. "Trotzdem sind Trainingsangebote und edukative Maßnahmen wichtig, denn es gibt eine Wechselwirkung zwischen Anlage und Umwelt", so Frank Spinath, Professor für Differentielle Psychologie an der Universität des Saarlandes. Damit ist gemeint: Gene brauchen eine anregende Umgebung, um optimal zum Tragen zu kommen.

Eineiige Zwillinge kommen mit der gleichen genetischen Ausstattung auf die Welt | Bildquelle: imago/imago stock

Die Suche nach dem Super-Gen

Welche Gene sind genau für die Intelligenz zuständig? Seit Mitte der 1990er-Jahre wird intensiv nach den Intelligenz-Genen geforscht. Doch die Suche ist frustrierend. "Der Fehler im System: Man dachte zunächst, dass die Geneffekte stärker seien und die Zahl der Intelligenz-Gene überschaubar", so Frank Spinath. "Tatsächlich gibt es sehr viele minikleine Effekte. Da sind ganz viele Instrumente im Intelligenz-Konzert."

Die Forscher mussten erkennen, dass sie lange Zeit das Raster für ihre Untersuchungen viel zu grob angelegt hatten. Denn diese kleinen Effekte erfasst man nur bei enorm großen Stichproben, also bei mindestens 200.000 Personen in einer Stichprobe. Und es sind zum Teil noch nicht einmal ganze Gene, die mit Intelligenz korrelieren, sondern oft sogar nur genetische Abschnitte. Erst im Vergleich der Massen erkennt man diese feinen Unterschiede.

Gene haben einen Einfluss auf die Intelligenz, aber in einem komplexen Zusammenspiel mit vielen Faktoren.

Im Laufe des Lebens kommen die Gene immer mehr zum Tragen | Bildquelle: picture alliance/Friso Gentsch

Erblich, aber nicht unveränderlich

Intelligenz ist also zu großen Teilen bereits in die Wiege gelegt. Der IQ erlaubt eine Vorhersage über die Chancen für Bildung und Beruf – und damit auch über den sozialen und ökonomischen Status, den ein Mensch möglicherweise erreichen kann. Ein Grund, die Hände in den Schoß zu legen, ist das aber nicht. Denn ohne eine ansprechende Umgebung kann sich die Anlage nicht entfalten.

Beispiel Leseentwicklung: Intelligente Grundschüler lernen neue Buchstaben und Wörter meist schnell. Doch diese Fähigkeit muss gefördert werden, damit die Kinder als Erwachsene später komplizierte Texte und dicke Schmöker lesen können.

Schlau geboren zu sein reicht also nicht. Aus Zwillingsstudien weiß man, dass neben den kognitiven Fähigkeiten auch Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle spielen, wenn es um den Erfolg geht: zum Beispiel Motivation, Frustrationstoleranz oder Fleiß.

Es zeigte sich auch, welches Elternverhalten den Schulerfolg des Nachwuchses besonders begünstigt: Unterstützung und der Schubs zur Selbständigkeit sind hilfreich, Kontrolle und fehlende emotionale Wärme dagegen kontraproduktiv.

Generell gilt: Wer gefordert wird und anspruchsvolle Aufgaben bekommt, lernt besser zu schlussfolgern oder Probleme zu lösen. Trotzdem kann man den IQ nicht maßgeblich beeinflussen. Anders gesagt: Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Auch nicht, wenn man Zwilling ist.

Trotz guter Gene: Tägliches Lesen mit den Eltern fördert das sprachliche Potential von Grundschulkindern | Bildquelle: dpa Picture-Alliance/Patrick Pleul

(Erstveröffentlichung: 2018. Letzte Aktualisierung: 27.01.2020)