Von Krebs geheilt, aber nicht gesund
Lange Zeit war die Krankheit Krebs für viele Betroffene tödlich. Inzwischen steigt der Anteil der Menschen, die mit ihrem Krebs leben, ihn über lange Zeiträume in Schach halten oder den Tumor sogar vollkommen überwinden. Aus der oft tödlichen Krankheit wird nun zunehmend eine chronische.
Doch es gibt auch Wermutstropfen. Die Therapien können Nebenwirkungen haben, die oft erst nach fünf, zehn oder 20 Jahren auftreten. Eine Chemotherapie kann Knochen, Herz und Bindegewebe schädigen und den Körper dauerhaft schwächen, sodass chronische Müdigkeit entsteht, eine sogenannte Fatigue.
Bestrahlungen schädigen oft umliegende Organe, es kann zu wiederkehrenden Entzündungen kommen oder auch zu aufkeimenden Tumoren an anderen Körperstellen.
Spätfolgen bei rund der Hälfte der jungen Krebsüberlebenden
Kinderärzte dokumentierten als Erste, welche Langzeitfolgen Tumortherapien haben können. Es zeigte sich, dass viele der jungen Patienten später gesundheitliche Schäden erleiden, einige in gravierendem, andere in geringerem Ausmaß. Beschwerden an Herz, Nieren, Gehör und Augen, Verlust oder Einschränkung der Fruchtbarkeit, posttraumatische Belastungsstörungen und Depression gehören zu der langen Liste möglicher Spätfolgen.
Nach derzeitigem Forschungsstand muss etwa die Hälfte der jungen Krebspatienten im Erwachsenenalter mit Spätfolgen rechnen, davon 20 Prozent mit schwerwiegenden. Etwa jedes dritte krebskranke Kind braucht später eine psychische Behandlung; rund 20 Prozent bleiben weitgehend gesund und erreichen eine gute Lebensqualität.
Krebsüberlebende brauchen medizinische Nachbetreuung
In den vergangenen Jahren haben vielerorts Zentren für die Nachsorge von Kinderkrebspatienten eröffnet. Dort werden diese regelmäßig medizinisch untersucht, um Spätfolgen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Auch für Erwachsene ist ein Netzwerk an spezialisierten Sprechstunden für Krebsüberlebende im Aufbau. Das ist nötig, weil die üblichen Untersuchungstermine für ehemalige Krebspatienten nach fünf Jahren enden.
Hat ein Patient in diesem Zeitraum keinen Rückfall, gilt er als geheilt. Denn bei vielen Tumorarten zeigte die Erfahrung, dass die Erkrankung nach fünf Jahren ohne Rückfall überstanden ist.
Eine systematische, andauernde und umfassende medizinische Nachbetreuung gibt es bei Erwachsenen bislang noch nicht. Häufig stehen Krebspatienten mit Langzeitfolgen vor dem Problem, dass keine auf Spätfolgen spezialisierten Ärzte zur Verfügung stehen. Sie müssen sich selbst einen passenden Therapeuten suchen. Wünschenswert wäre ein bundesweites Netz von Zentren, die ganzheitlich beraten.
Die Angst vor dem nächsten Tumor in den Griff bekommen
Psychologische Hilfe ist ebenfalls wichtig: Die Angst, dass der Tumor wiederkommt, begleitet viele Krebspatienten ihr Leben lang. Manchmal genügen banale Auslöser und schon macht sich die Furcht im ganzen Körper breit.
Je häufiger und unkontrollierter dies passiert, umso größer ist die Gefahr, dass die Angst gesundheitsschädigend wirkt. Denn die Stresshormone, die der Körper dabei ausschüttet, können das Immunsystem beeinträchtigen.
Strategien gegen die Angst vor dem Wiederauftreten des Krebses zu entwickeln, ist deshalb eine Aufgabe für alle Tumorpatienten. Manchen Menschen helfen Spaziergänge an der frischen Luft, andere praktizieren lieber Yoga und konzentrieren sich auf die Körperübungen.
Psychologische Betreuung ist für die meisten Patienten hilfreich und mitunter der rettende Anker, der einen Ausweg aus der ständig wiederkehrenden Furcht bietet.
Die Selbsthilfeorganisation "Frauen nach Krebs" hat beobachtet, dass Ängste in Wellen auftauchen – mal sind sie ganz weg, dann kommen sie plötzlich wieder. Wünschenswert wäre ein ständiger psychologischer Ansprechpartner, der sofort zur Verfügung steht, ohne dass jedes Mal eine Therapie beantragt werden muss.
Krebserkrankung ist ein Armutsrisiko
Krebs kann zur Armutsfalle werden, das zeigt die Erfahrung zahlreicher Betroffener. Therapien können sich lange hinziehen, und wenn das Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung ausläuft, bleibt oft nur die Erwerbsminderungsrente der gesetzlichen Rentenversicherung, die meist deutlich niedriger ausfällt als der Verdienst aus beruflicher Arbeit.
Jeder dritte Patient bekam nach seiner Erkrankung finanzielle Probleme, ergab zum Beispiel eine Studie der German Hodkin Study Group, an der 1000 Lymphdrüsenkrebspatienten teilnahmen.
Selbstständige haben sogar ein erhöhtes Verarmungsrisiko, wenn sie sich nicht gut versichert haben. Sie haben keinen Anspruch auf Krankengeld, wenn sie dafür keinen Versicherungsvertrag abgeschlossen haben.
Finanzielle Not kann für Krebspatienten eine sehr große Belastung sein. Und gerade in einer Zeit, in der die Betroffenen alle Kraft zum Gesundwerden brauchen, kann sie erheblichen Stress auslösen.
Deshalb ist es ratsam, dass Tumorpatienten sich frühzeitig an eine Beratungsstelle wenden, um sich Unterstützung zu holen. Persönliche oder telefonische Beratung bieten zum Beispiel die Stiftung Deutsche Krebshilfe, der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums, Verbraucherzentralen und die Unabhängige Patientenberatung Deutschland.
Selbsthilfeorganisationen fordern ein System mit unabhängigen Lotsen, die den Betroffenen helfen, sich bei den verschiedenen sozialrechtlichen Angeboten und Vorschriften zurechtzufinden und rechtzeitig die richtigen Anträge zu stellen.
Wieder arbeiten nach Krebs: Flexible Arbeitsmodelle fehlen
Auch wer nach einer Krebserkrankung körperlich eingeschränkt ist, kann an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Ist jemand länger als sechs Wochen krankgeschrieben, hat er einen gesetzlichen Anspruch auf eine so genannte betriebliche Eingliederung, auch "Hamburger Modell" genannt.
Die Wiedereingliederung kann zwischen sechs Wochen und sechs Monaten dauern und die Arbeitsbelastung in dieser Zeit schrittweise gesteigert werden. Wer das Hamburger Modell nutzt, bekommt während der Wiedereingliederung Krankengeld statt Lohn, also etwa 70 Prozent seines Bruttogehalts.
Für viele Krebspatienten kommt das Hamburger Modell jedoch nicht in Frage. Sie sind nur wenig belastbar oder trauen sich nicht zu, wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren. Oft fehlt ein passendes Angebot, wo sie das leisten, was sie können, ohne sich zu überfordern. Selbst hochqualifizierten Menschen gelingt der Sprung zurück ins Arbeitsleben häufig nicht, weil sie bei dem Rhythmus im Unternehmen nicht mithalten können.
Noch ist die Berufswelt zu wenig auf die Bedürfnisse von Krebsüberlebenden ausgerichtet. Neue Modelle sind nötig, bei denen Tumorpatienten flexibel und ohne Druck arbeiten können. Wenn dank moderner Therapien eine wachsende Zahl von Krebspatienten die Erkrankung überlebt, dann müssen Unternehmen und Gesetzgeber darauf reagieren, indem sie neue Arbeitsstrukturen schaffen.
Nicht nur die Starken, auch die Schwächeren brauchen einen respektablen Platz in der Gesellschaft. Es sind noch viele Anstrengungen nötig, damit das Leben nach dem Krebs ein gutes Leben wird.