Die Ehe
Die junge Viktoria ist im britischen Königshaus zunächst nicht einmal als Thronfolgerin vorgesehen. Aber ihr Vorgänger und Onkel Wilhelm IV. (englische Schreibweise: William IV) verstirbt kinderlos. Im Juni 1837 wird Viktoria (Victoria I) gekrönt.
Die unerfahrene junge Königin vertraut anfangs auf den Rat des liberalen Premierministers William Lamb Viscount Melbourne und den ihres Onkels, König Leopold I. von Belgien. Der wichtigste Mensch in ihrem Leben wird aber ab 1839 ihr gleichaltriger Mann Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha.
Ihre Hochzeit 1840 ist eine Liebesheirat, wie sie an europäischen Fürstenhöfen dieser Zeit nur selten vorkommt. Während Viktoria in den nächsten 18 Jahren neun Kinder zur Welt bringt, kümmert sich Albert um die Amtsgeschäfte. Ihre Ehe gilt als vorbildlich und glücklich.
Die große Trauer
Das glückliche Familienleben am Hof von London findet im Dezember 1861 mit dem Tod Prinz Alberts ein jähes Ende. Bis zu ihrem eigenen Tod 40 Jahre später kommt Viktoria über diesen Verlust nicht hinweg.
Die ersten 20 Jahre nach Alberts Tod meidet sie die Öffentlichkeit vollständig. Ihre schwarze Trauerkleidung wird zum öffentlichen Erscheinungsbild der Epoche. Gleichzeitig entspricht ihre tugendhafte Lebensführung und gewissenhafte Erfüllung ihrer Amtspflichten ganz den bürgerlichen Idealen ihrer Zeit.
Königin Viktorias außenpolitischer Einfluss besteht vor allem in ihren verwandtschaftlichen Beziehungen zu allen wichtigen Herrschaftshäusern Europas. Innenpolitisch steht sie für Kontinuität in Zeiten dauernden Wandels. Als erste Herrscherin bereist sie ausgiebig ihr Land, das sie 63 Jahre lang regiert und entscheidend prägt.
Die viktorianische Gesellschaft
Vielleicht liegt ein wesentlicher Grund für Viktorias Beliebtheit bei ihren Untertanen in dem Umstand, dass sie als Person so gar nicht in die rasante Entwicklung des 19. Jahrhunderts passen will.
Viele Briten, darunter auch Intellektuelle aller politischen Richtungen, wünschen sich damals in selige vorindustrielle Zeiten zurück, als die Welt noch scheinbar geordnet und überschaubar war. Für sie verkörpert Viktoria genau diese Tradition. So wird die Familie in Zeiten stetigen Wandels die einzige verlässliche Konstante. Die Queen erweist sich als geradezu vorbildlicher Familienmensch.
Oberflächlich gilt die Epoche als optimistisch und fortschrittsgläubig, doch ein Hang zur Melancholie, Puritanismus und Prüderie ist unverkennbar. Erfolg und gesellschaftlicher Aufstieg verlangen eine strikte Einhaltung gesellschaftlicher Konventionen.
Nach außen hochanständig, entsteht hinter der bürgerlich-viktorianischen Fassade allerdings ein moralischer Sumpf aus Prostitution und Pornografie, in den auch gelegentlich Verwandte der Königin eintauchen. Die öffentliche Geißelung solcher Lebenslügen und Scheinheiligkeit bringt den Dichter Oscar Wilde gleich mehrfach ins Gefängnis.
Literatur zur Zeit Viktorias
Lesen können im England des 19. Jahrhunders durch die verbesserten Schulsysteme bald sogar die untersten Schichten. Doch erst mit der Abschaffung der Stempelsteuer 1855 werden Bücher und vor allem Zeitungen auch für ein Massenpublikum erschwinglich. Der Markt wird mit Romanen, Groschenheften und Boulevardzeitungen überschwemmt.
Zwar wandelt sich der Stil von der Romantik zu Anfang des Jahrhunderts zu einem immer stärkeren Realismus, ohne aber die romantische Ader aufzugeben.
Das zeigt sich exemplarisch an den Romanen Jules Vernes, der ausgiebig futuristische Technik in seinen Büchern beschreibt. Aber das Denken seiner Romanfiguren ist nach wie vor romantisch geprägt, so wie seine Bücher den Wunsch der Leser nach einer zeitweiligen Flucht aus der Wirklichkeit perfekt bedienen.
Die zunehmende Nachfrage nach Unterhaltungslektüre fördert die Entstehung von historischen Romanen ("Ivanhoe"), Schauerromanen ("Dracula"), Detektivgeschichten ("Sherlock Holmes") und manchmal sogar sozialkritischen Büchern ("Oliver Twist").
(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 05.07.2019)